MICHELE ANELLI / PAUL BEAUCHAMP / ANDREA CAUDURO: Sometimes Someone Watches

Die unsichere Sendersuche am Radio und das elektronisch verfremdete Hantieren, das einen zu Beginn von “Sometimes Someone Watches” in ein dezentes Chaos zieht, sind nicht die einzigen schwer definierbaren Klänge auf diesem Album. Über einige Minuten hinweg blubbert und knackt und schabt und trötet es, und man hat schnell den Eindruck, dass die zahlreichen Sounds hier sich selbst überlassen sind und weitgehend freie Hand haben. Wenn sich dann doch irgendwann ein Anschein von Kohärenz hinter den Schauplatz schiebt, hält man das vielleicht nur für eine der Gewöhnung geschuldete Illusion.

Die drei in Turin lebenden Musiker Michele Anelli, Paul Beauchamp und Andrea Cauduro, die das Album vor einigen Monaten mit Synthesizern, Gitarren, Tape-Technik und einigen zusätzlichen elektronischen Gerätschaften eingespielt haben, kannten sich schon länger und fanden die gemeinsame Session wohl unvermeidlich – eine Einschätzung, die sich durch die Kohärenz der drei improvisierten Stücke bestätigt.

Wer immer der mysteriöse Beobachter ist, der dem Album seinen Titel gab: Das Vergehen der Zeit scheint ein übergeordnetes Thema zu sein, was nicht nur die drei Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft implizierenden Tracktitel – “The Last Time The Door Was Open”, “One Dwells There Within Who Talks To The Morning Mists”, “A Sort of Foreknowledge of the Coming Series of Events”  – nahelegen, sondern auch die narrative Struktur, die ganz einer Bewegung aus diffusem Chaos hin zu einem aufgeräumte(re)n Ziel zu entsprechen scheint. Das erste Stück erinnert über weite Strecken an eine langsame Suche mit subjektiver Kamera im Chaos eines dunklen, mit viel Geröll vollgestopften Raumes. Dreht man sich im Kreis? Die Unsicherheit bleibt bestehen, doch irgendwann ändert sich das Tempo leicht, die Suche wird stockender, aber vielleicht ist auch dies wieder in nur eine Illusion, ähnlich der Autohupen, der Spritzpistolen, der schreienden Möwen, die in einem anderen Raum erklingende ethnofolkige Melodie, die sicher alle von ganz anderen Soundquellen erzeugt werden.

Die flächige Dröhnung in “One Dwells There Within Who Talks To The Morning Mists” ist anfangs so laidback, dass man sich leicht an einem weniger gefahrvollen Ort wähnen könnte, doch auch hier steckt in den halluzinierbaren Klängen – rasselnde Becken, strömendes Akkordeon, Orchestrales – eine subtile Spannung, die dank des von Rauschen ummantelten Schwebedrones direkt ins Unbewusste sickert. Die scheinbar gleichförmige Hypnotik des Schlusstracks vermag die vielen subkutanen Details lange vergessen machen und könnte der Sound des Angekommenseins sein, doch mittlerweile sind die Sinne schon zu geschärft für subtile Brüche, und der Titel “A Sort of Foreknowledge of the Coming Series of Events” lässt ohnehin die Ruhe vor dem Sturm und somit einen offenen Schluss vermuten.

“Sometimes Someone Watches” ist mehr ein auditiver Thriller als ein potenzieller Soundtrack zu einem ähnlich gearteten Film und ein mehr als gelungenes Gemeinschaftswerk, das nach einer Fortsetzung verlangt. (U.S.)

Label: Chiærichetti Æditore Ræcordings