Obwohl es in der Karriere Mona Murs schon immer eine ganze Reihe an stilistischen (und auch personellen) Konstanten gab, erscheint sie einem doch manchmal wie eine Sängerin, die sich über die Jahre immer wieder neu erfunden hat – man mag dabei an eine Häutung denken und im nächsten Moment an die vielen Schlangen, die sich durch ihre Texte schlängeln. Vielleicht rührt dieser Eindruck von einigen Veröffentlichungspausen her, in denen die Sängerin anderen Dingen wie z.B. dem Kampfsport nachging, oder auch von der Tatsache, dass einige Arbeiten erst nach einer längeren Zeit einem größeren Publikum zugänglich wurden.
So ein Fall ist das Album “Warsaw”, das Mona Mur 1989 – 1990 – also direkt in der Zeit, als der eiserne Vorhang fiel – in der polnischen Hauptstadt aufgenommen hatte. Zusammen mit ihrem schon am Solodebüt beteiligten Produzenten Dieter Meier traf sie einige der damals renommiertesten polnischen Musiker, deren Handschrift in dem Werk deutlich erkennbar ist. Das wäre u.a. der von der Band Republika bekannte Rockmusiker Grzegorz Ciechowski, ferner das Warschauer Philharmonie-Orchester. Gerade durch dieses erhielt Monas ursprüngliche Handschrift, die man anfangs etwas vereinfacht als Mixtur aus Postpunk und Chanson beschreiben konnte und die später einen elektronischeren und poppigeren Charakter bekam, ein orchestrales Gewand, das einige der Songs perfekt für Filmmusik machte und z.T. an Musicalstücke erinnern ließ. Das alles klingt wunderschön und ist es auch, doch wegen Uneinigkeiten mit diversen Labels über die Ausrichtung der Musik landete das Material für die nächsten 25 Jahre in der Schublade. Erst 2015 gab es eine kleine Auflage, die nur in Polen erhältlich war, nun endlich liegt eine international vertriebene LP vor.
Die Sängerin selbst sagte einmal, dass es in “Warsaw” v.a. um die Liebe geht und betonte dabei, dass es für sie das relevanteste Thema in der Kunst überhaupt sei, da es wie der Krieg die Möglichkeit der totalen Auslöschung in sich trägt. Die Liebesgeschichten, die sie in den einzelnen Songs entwirft, haben dann auch einiges an spannungsvoller Anbiguität zu bieten. Im fast reißerisch-melodramatischen Opener “Paintings” wird vor musicalhafter Kulisse der schmerzlich vermisste Lover beschworen, der sich zum dynamischen Höhepunkt des Songs als Gemälde erweist. Im mit orchestraler Wucht wie der Score eines klassischen Abenteuerfilms beginnenden “Snake Eyes” kommt es zum Tanz mit einem Fremden, der sich als Menschenfresser entpuppt (und dessen grummelige Stimme dann auch für Momente zu hören ist). Selbst das Scifi-angehauchte “The Man on the Satellite” mit seinem kritischen Text hat Züge von einer weltumspannenden Amour Fou. “Crazy” erzählt im leidenschaftlichen Flüsterton vor einer Kulisse aus spanischen Gitarren von der sweetest temptation durch die begehrte Person, doch all dies scheint nur noch eine wehmütige Erinnerung zu sein, ganz ähnlich wie die Szenen im Walzer “Mon Amour” und die auf Sand gebauten “Illusions” in der gleichnamigen Friedrich Hollaender-Interpretation, deren Version von Marlene Dietrich die meisten vielleicht aus Billy Wilders A Foreign Affair kennen. Ungleich unverblümter “Go Away”, in dem der Liebhaber zu harschen Elektrobeats die Peitsche zu spüren bekommt. Die während einer kurzen Gehämmerpause aufspielenden osteuropäischen Streicher wirken in dem Szenario dann fast wie eine Persiflage auf alles Schöne, Gute und Wahre. Vielleicht könnte man das im Laufe ihrer Karriere mehrfach aufgenommene “120 Tage” ja als dessen Kehrseite inklusive Rollenwechsel verstehen.
All diese Dinge sind bewusst dick aufgetragen und machen die Songs zu großen Schmachtfetzen, die unter vielen Umständen auch in unerträglichen Kitsch kippen könnten, man stelle sich solche Themen nur in bierernsten Gothic- oder plakativen EBM-Songs der späten 90er vor, in denen man den subkulturellen Esprit der zurückliegenden Dekade mit der Lupe suchen musste. Eine sich selbst nicht allzu ernst nehmende Haltung und ein subtil schalkhafter Humor, den ich zumindest bei Mona Mur immer zu spüren glaube, sind sicher ein Grund dafür, dass Melodramatik bei ihr niemals penetrant wirkt. Ein anderer ist die Verwurzelung der Musik in klassischer Cabaret-, Chanson- und Revue-Kultur, die der beste Rahmen ist, um solchen Stoffen eine ganz eigene Größe zu geben. Das Echo solcher Musik ist hier in vielfacher Weise zu hören: Mal in perfekter Melange mit dem Synthiesound der 80er, mal mit martialischen Snare Drums und opulenten Streichern. Mal ganz lieblich mit Glockenbimmeln und wehmütigen Geigenornamenten, die in anderen Momenten so quirlich wie ein Springbrummen emporschießen. Hier und da sogar mit schrägen Untertönen wie in “El Dorado”, bei dem verquere Takte und ein seltsames Kratzen an den Saiten eines Instruments das unwirtliche Tageslicht zu illustrieren scheinen, dem entgegengerufen wird “Good morning sun, I’m tired of you”.
Als Sängerin und Musikerin ist Mona Mur derzeit alles andere als “tired”, wahrscheinlich sitzt sie gerade im Studio an einer neuen EP oder bereitet ihr kommendes Konzert in ihrer alten Hamburger Heimat vor. In anderen Worten erleben wir gerade eine besonders aktive Phase ihrer Karriere, was sowohl neues als auch die Retrospektive angeht. “Warsaw” ist dabei eine besondere Wegmarke. (U.S.)
Label: Play Loud!