Klavier und Altsaxophon scheinen für einander geschaffen, zahllose Bandkonstellationen und Duette beweisen das stets aufs neue. Dass es im Bereich freier Improvisation immer noch möglich ist, neues und überraschendes aus ihrem Zusammenspiel herauszuholen, demonstrieren derzeit die Berliner Pianistin Magda Mayas und die in Frankreich lebende Saxophonistin Christine Abdelnour, bislang auch bekannt mit dem Zweitnamen Sehnaoui. Im Zuge ihrer häufigen Konzerte führte ihr Weg auch auf das Meteo Festival im französischen Mulhouse. Der bei Radio France übertragene Live-Mitschnitt ist im Rahmen der Unsounds-Reihe nun auch als Tonträger unter dem Titel „Myriad“ erschienen.
Würde jemand behaupten, Magda Mayas eigentliches Instrument sei der Klavierkasten, dann wäre das schon die halbe Antwort auf die Frage, warum ihr Spiel nur gelegentlich wie ein Piano klingt. Dem Anschein nach könnte man es bei dieser Performance mit einer Vielzahl nicht nur an Tasten-, sondern auch an Saiten- und Schlaginstrumenten zu tun haben. Im Unterschied zu John Cages bekannten Experimenten mit zusätzlich am Flügel montierten Metall- und Kunststoffobjekten nutzt Mayas die schon im Instrument vorhandenen Potentiale, bearbeitet das Gehäuse perkussiv mit der Hand, zupft die darin versteckten Saiten mit improvisierten Griffen, die mich an Baby Dees kindliche Hommage an das Instrument denken lassen: „There’s a harp in that piano“. Manchmal scheint es, als wühle sie planlos im Kasten herum, aber das täuscht sicher, denn trotz aller Improvisiertheit verliert sich der Fluss ihrer Klänge nie im Beliebigen.
Ähnlich wie man sich fast wundert, wenn man für Momente herkömmliches Tastenspiel hört, so spielt auch Christina Abdelnour das Altsaxophon so, dass man es mit ungeübten Ohren nur gelegentlich erkennt. Mittels besonderer Blas- und Atemtechniken holt sie Schab- und Pfeiftöne hervor, und gelegentlich klingt ihr Spiel wie ein ganzes Vogelkonzert (siehe Artwork). Auch sie scheint trotz aller Freiheiten längst nicht alles dem Zufall zu überlassen. Wird es streckenweise monoton, so kommt dadurch eine fast magische, bannende Atmosphäre zustande. Klänge, die an Instrumente wie Didgeridoo erinnern, tun ihr übriges. Immer wieder gibt es Passagen, in denen ein bestimmter Soundeffekt im Vordergrund steht (aus denen andere ein ganzes Album machen würden), bis plötzliche Wechsel dafür sorgen, dass es unvorhersehbar bleibt.
Das Schöne an dem, was man so Echtzeitmusik nennt, ist die Tatsache, dass man hier in einem interessanten Rahmen Instrumente hören kann, die im Kontext vorhersehbarer Free Jazz-Nostalgie längst zum Repräsentationssound eines unerträglichen Bildungsbürgertums geworden sind. Dass man diese Fraktion mit einem Album wie „Myriad“ zur Weißglut bringen und einmal mehr als schnöselig entlarven kann, ist eine seiner Stärken. Die Vielfalt der recht eigentümlichen Sounds und der jeder Ermüdung entgegensteuernde Gestaltwandel allerdings die wichtigere.
A. Kaudaht
Label: Unsound