Mit “Sonitus Vol. 2″ erscheint der zweite Teil der vom Komponisten Ehsan Saboohi kuratierten Compilation-Reihe auf dem Label Post-Orientalism Music. Wie bereits in der ersten Ausgabe basiert das Projekt auf Saboohis theoretischer Auseinandersetzung mit dem Begriff Sonitus, den er – inspiriert von der lateinischen Antike und insbesondere von Lukrez – nicht als objektivierbaren Klang, sondern als unmittelbares Ereignis begreift. Ein Klang, der sich nicht in musikalischen Kategorien erschöpft, sondern in dem sich – so Saboohi – “das Sein selbst mitteilt”. Die Veröffentlichung vereint Werke von Chem XP, Dave Seidel, Deniz Tafaghodi, Ehsan Saboohi, Hubert Heathertoes, Lena Koucheri, Mohammad Amin Akbarpour, Mohammad Reza Hashemi und Soheil Shirangi – in gewissem Sinne ein erweitertes Line-up des ersten Teils. Die Beiträge verzichten bewusst auf eine stilistische Einordnung in bekannte musikalische Traditionen. Weder westlich noch orientalisch, weder elektroakustisch noch dokumentarisch im engeren Sinne, verschiebt sich die Aufmerksamkeit hin zu Momenten klanglicher Präsenz, in denen sich Bedeutungen erst formen, statt vorausgesetzt zu werden.
Aufnahmen von Kinderstimmen vor undefinierbarer Geräuschkulisse, das Rattern von Aufzügen oder Bahnverkehr, Vogelzwitschern und andere Tierlaute, metallische Klänge, Regenprasseln, das Quietschen von Türen, Schlüsselgeräusche, rhythmischer Lärm, pubähnliche Gesprächsfetzen neben jazzartigen Pianosequenzen, Radiosamples mit Musik und Straßenverkehr, keuchender Atem – viele der verwendeten Klänge lassen sich nicht klar zuordnen und entfalten gerade dadurch eine eigene Form von Intensität. Manches erinnert in seiner Struktur und Wirkung an Filmszenen, ohne konkret auf visuelle Bilder bezogen zu sein. Im Unterschied zur akustischen Ökologie, die Umweltklänge typologisch ordnet und analysiert, interessiert sich Sonitus für das Unmittelbare, das noch nicht durch Begriff oder Funktion gerahmte. Das Projekt ist Ausdruck einer Praxis, die sich weder über Herkunft noch Genre definiert, sondern über das, was Klänge im Moment ihrer Erscheinung sind. Das Cover von “Sonitus Vol. 2″ zeigt eine über 51.000 Jahre alte Höhlenzeichnung aus Sulawesi, die eine Interaktion zwischen Mensch und Tier darstellt. Auch sie verweist auf eine Geschichte nichtsprachlicher Ausdrucksformen, die bis in unsere Gegenwart reicht und das Verständnis von Sonitus als Offenbarung eines Geschehens prägt – vor aller Einordnung, vor aller Sprache. Die Anthologie erscheint digital.