In einer Zeit, in der der Begriff Folk vieles bedeutet und noch mehr bedeuten kann, bleibt Allysen Callery eine Musikerin, die sich mit stiller Konsequenz auf das Unaufdringliche, das Intime, das Kleine und gleichsam Dichte konzentriert. Ihre Lieder sind oft Miniaturen, aber nie bloß Skizzen. Seit ihrem Debüt hat sich die aus Rhode Island stammende Sängerin und Gitarristin eine beständige Nische in der Welt alternativer Folkmusik geschaffen, in der flüchtige Geisterstimmungen auf traditionsbewussten Fingerstyle treffen. “Ghost Folk”, der Titel eines ihrer Alben, wurde dann auch schnell zu einer Art Stilbegriff.
Die neue Single mit den beiden Songs “King Neptune” und “We Float Down The River” schließt nahtlos an diese Tradition an. Beide Stücke sind ihrem Ehemann Ted gewidmet und wirken wie zwei sich ergänzende Facetten einer inneren Landschaft, die auf ganz eigene poetissche Weise maritim geprägt ist. “King Neptune” eröffnet mit Meeresrauschen, einer Klangspur, die nicht bloß als Effekt, sondern als atmosphärisches Grundmotiv funktioniert. Über zartem Fingerpicking entfaltet sich ein entrückter Gesang, der die titelgebende Figur beschreibt: König Neptun, Herr des Sandes, dessen Bart aus Seegras besteht. Es sind sparsam gesetzte, aber wirkungsvolle Akzente – ein hoher gezupfter Ton hier, ein plötzlicher, trommelwirbelartiger Schlag auf die Saiten dort –, die das Stück strukturieren, ohne seinen hypnotischen Fluss zu stören. Wenn Callery singt: “Dein Körper ist der Sand”, stellt sich fast unweigerlich ein Bild dieser mythischen Gestalt ein als Elementarwesen zwischen Küstenlinie und innerem Bewusstseinsraum.
“We Float Down The River” wirkt auf den ersten Blick schlichter, fast kinderliedhaft, aber genau darin liegt seine besondere Stärke. Es ist ein Stück mit wehmütigem Grundton, bei dem das Finger Picking gelöster wirkt, fast erzählend. Die Bewegung – das Dahintreiben auf einem Fluss – steht wie das Symbol eines emotionalen Zustandes im Zentrumdes Geschehens, und eine interessante, wahrscheinlich zufällige Brücke zur ersten Seite ist, dass der römische Neptun, anders als sein griechischer Verwandter Poseidon, zunächst ein Gott des Süßwassers war, der erst durch griechischen Einfluss zu einem Meeresgott wurde. Das Lied hat etwas Abendliches, fast Nokturnales, und durchzieht einen mit jener Art von Melancholie, die sich nicht aufdrängt. Wer genau das “Wir” ist, das da zum Meer fließt, bleibt offen, und auch das macht den Reiz des Songs aus.
Mit beiden Stücken gelingt Callery ein zurückhaltendes, aber eindringliches Beispiel dessen, was man als maritime oder aquatische Folklore beschreiben könnte – reduziert, aber nicht leer, kontemplativ, ohne sich allzu romantisierend ins bloß Verträumte zu flüchten. (U.S.)
Label: Tepid Toad Records