PREFACES: Acqua Marina

Verlassene Pools, verblasste Fliesen, verwitterte Strandclubs – Orte, die gleichzeitig Vergangenheit und Gegenwart tragen, bilden das ästhetische Fundament von “Acqua Marina”. Das Album kreist um die vergilbten Spuren eines Lebensstils, der längst der Vergangenheit gehört oder vielleicht auch nie ganz da war, und bringt die unterschiedlichsten Erinnerungen hervor: persönliche, kollektive und höchstwahrscheinlich auch imaginäre, die ihre Existenz einem Simulakrum verdanken, dessen Ursprung in zahlreichen Bildern, Filmen und Liedern einer seit einem halben Jahrhundert vergangenen Ära liegt.

Mit diesem zweiten Album lotet das libanesische Trio Preface – bestehend aus Charif Megarbane, Salim Naffah und dem wohl niemals ruhenden Drummer Pascal Semerdjian – weiter aus, wie sich mediterrane Gitarrenmusik, Surfrock, nostalgisch aufgeladene Soundästhetik und lokale Erinnerung ineinander verschränken lassen. Herausgekommen ist ein Werk, das sich hörbar weiterentwickelt hat und im Vergleich zum Debüt “Hippodrome” weniger spontan, aber strukturierter, detailreicher, vielschichtiger anmutet. Die elf Stücke des Albums kreisen thematisch um eine bestimmte Vorstellung maritimer Szenarien: es geht um verlassene Strandclubs, gekachelte Flure, leerstehende Pools – Orte, an denen sich nicht nur persönliche Erinnerungen ablagern, die vielmehr auch etwas Allgemeineres transportieren: eine Ära, einen Lebensstil, ein gesellschaftliches Versprechen, das verblasst ist. Es ist Musik, die vom 20. Jahrhundert erzählt, von einem Glanz, an den heute niemand mehr so recht glaubt.

Bereits der Opener “Abu Sinn” spielt mit dieser Atmosphäre. Glockenähnliches Gitarrenpicking, gefolgt von Klängen, die an ein Psalterium erinnern, trifft auf weitere Melodiefragmente, die sich nach und nach dazuschalten. Trotz seiner grundsätzlich ambienten Anmutung wirkt der Track leicht aufgewühlt, ein wenig wie die Oberfläche eines Pools, auf dem sich etwas Spiegelndes mit etwas Tieferem überlagert. Die Musik könnte gut in einen David Lynch-Film passen, der vom Verfall hinter einer blendenden Oberfläche erzählt. Im folgenden Stück “Bezreh” nimmt das Tempo zu. Die Musik evoziert Bilder von klassischem Jetset: Cabriolets, ausladende Hüte und seidene Schals im Wind, ein Hauch von Bossa Nova – wohlwissend, dass sie mit Klischees spielt, aber nicht um sie zu entlarven, sondern um zu zeigen, wie viel Zuneigung nach wie vor mit ihnen ausgedrückt werden kann. Leicht gehauchte Vokalspuren rufen Erinnerungen an Morricone-Soundtracks wach, an eine zuckersüß gestylte und doch doppelbödige Musik, die zum Träumen lädt, kurz bevor das unfassbare passiert. Auch der italienische Albumtitel scheint an diese Ära der Filmgeschichte zu erinnern, welche die arabischen Songtitel wiederum an einen anderen Schauplatz verlegen.

“Firan” ist einer der eingängigsten Titel des Albums – Surfgitarren à la Link Wray, mitreißend, tänzelnd, voller Schwung. Gleichzeitig ist da wieder diese Wehmut, besonders spürbar in den hellen, orgelartigen Klängen, die an alte Rummelplätze erinnern. Preface machen keine Hits, sie liefern perfekte musikalische Skizzen, ihrem Bandnamen alle Ehre machende Vorgriffe, die im Kopf der Hörerinnen und Hörer ihre eigene Popform a la The Last Shadow Puppets annehmen dürfen, aber nicht müssen. “Balamida” bleibt tanzbar, aber mit einem deutlich romantischen Einschlag. Ein cembaloartiger Klang wird eingefasst von barockem Groove im Gewand der 70er, als würde man durch eine Filmszene von Jess Franco spazieren, nicht ganz ernst, aber voller Stil. Die Musik zitiert, aber ironisiert nicht.

Mit “Lekkos Ramle” kommt ein stillerer, fast zärtlicher Moment: eine Art liebevolle Melancholie, die sich über zarte Glockenklänge und beschwingte Rhythmen ausbreitet. Auch wenn alles retrospektiv erscheint, ist es kein Rückzug in die Vergangenheit. Vielmehr scheint das Album einen Ort zu beschreiben, an dem Erinnerungen ihren Raum finden dürfen, selbst wenn man nie genau weiß, wem sie eigentlich gehören. Der nächste Track, “Lekkos Sakhre”, übernimmt diesen Ton, wechselt aber in einen 3/4-Takt. Mandolinen, Streicher, ein leicht taumelnder Walzerrhythmus: Man vernimmt eine gewisse Verspieltheit, eine Art schlenderndes Liebeslied ohne Worte. “Mallifa” wirkt wieder luftiger, beschwingter – mit einer Melodie, die etwas Halbverlorenes, fast Vergessenes aufruft. Vielleicht eine entfernte Folklore-Anmutung, die sich nahtlos in den Rest der Instrumentierung einfügt. Eventuell ist das leicht arabisch eingefärbte Flair hier auch nur Projektion, aber gerade dieser Schwebezustand macht das Stück so reizvoll.

“Sultan Brahim” bringt dann einen rustikaleren Beat ins Spiel, mitsamt feurigen Handclaps. Gitarrenpickings mit spanischem Einschlag erzeugen eine dramatische Atmosphäre irgendwo zwischen Wehmut und Euphorie. “Marmoura”, vorab als Single veröffentlicht, beginnt mit verfremdeten Stimmen, die zunächst in experimentellere Gefilde weisen, sich dann aber zu einer Art Bossa Nova-Miniatur mit Chor-Elementen entwickeln. Dem Trio gehen die Ideen wohl niemals auch. “Braa” arbeitet mit einem unaufdringlich komplexen Rhythmus, der sich so organisch in das Gesamtbild einfügt, dass man ihn fast übersieht. Die Instrumentierung bleibt wie bei vielen Stücken schwer zu greifen.

Den Abschluss bildet “Jaro”, ein noch einmal betont melancholisches Stück mit schöner Surfgitarre, das alle Elemente des Albums noch einmal zusammenführt. Preface ziehen hier ein letztes Mal alle Register und lassen den Hörer mit einem Gefühl zurück, das zwischen Sehnsucht, Zufriedenheit und einem leichten, stilvollen Schwung liegt. “Acqua Marina” ist ein Album, das sich – in all seiner kosmopolitischen Aura zwischen Adria, West Coast, Cannes, Corniche und Copa Cabana – auch einem bestimmten Bild des Libanon widmet, aber eben nicht im Sinne einer verklärenden Rückschau oder eines eskapistischen Idylls. Vielmehr ist es eine subtile, cinematische Umkreisung der Frage, was von bestimmten Zeiten, Orten und Stimmungen bleibt, wenn sie längst vergangen sind. Und was ihre Spuren in der Musik uns heute noch erzählen können. Großartig! (U.S.)

Label: Ruptured / Hisstology