Manchmal erscheinen Musikstücke wie Versuchsanordnungen, die nicht der Kontrolle, sondern der Hingabe verpflichtet sind. Rituale, Automatismen, Katharsis – dies sind die Eckpunkte von “Tarantos 20_24″, dem Debüt des Duos NosoKoma, bestehend aus Nicola Serra alias Il Santo Bevitore und José Macabra. Entstanden ist ein experimentierfreudiges Werk, das seine elektronischen Strukturen mit Stimmen, Rhythmen und Geräuschen verzahnt, als bewege es sich durchgehend zwischen Griffigkeit und Erosion.
Bereits der Auftakt “Your Mum My Mum” wirkt wie ein tastendes Austarieren von Rauschen und feinkörnigen, aber verzerrten Schleifgeräuschen. Rau, unbestimmt, nächtlich, von alarmierendem Charakter, zugleich aber durchdrungen von auffälliger Detailgenauigkeit, enthält jeder Ton, wie es scheint, seinen Platz. Mit “Screaming for Luciana” wendet sich das Duo stärker rituell anmutenden Wiederholungen zu: metallisches Prasseln, ein sich beinahe überschlagender Lärm, begleitet von verzerrtem Shouting, das an Power Electronics erinnert. Textverständlichkeit spielt keine Rolle, dafür die rohe Energie. Hier liegt eine Verwandtschaft mit den perkussiven Traditionen von Bands wie Einstürzende Neubauten, Test Dept., frühen Hunting Lodge oder Officine Schwarz nahe, doch NosoKoma entwickelt eine ganz eigene Handschrift.
“Tranxing King” evoziert zunächst das Bild eines rocknahen Drumdsolos, doch zerreißen harsche Noise-Einschübe jede lineare Struktur. In “Nicht Binär” wiederum entfaltet sich ein verzerrter Lush Noise (wenn ich den Begriff mal zweckentfremden darf), als würden kaputte Boxen Propellergeräusche erzeugen, unterlegt mit verfremdeten Stimmen. Das wirkt monumentaler und surrealer als vieles zuvor und mündet in ein beängstigendes, pochend-prasselndes Crescendo. Mit “The Tear Mountain” setzen NosoKoma auf Stimmengewirr und Drums, halbversteckter Gesang dringt irgendwannen durch eine Wand aus Geräusch, eher auflehnend als resignativ.
Besonders “That Bat Hole” führt in einen infernalischen Sog, wo Beckenspiel, Gelächter und nicht identifizierbare Klänge ineinandergreifen. Sprachfragmente schälen sich heraus, ehe ein Bruch wie ein Fall in den Abgrund wirkt, nur um sogleich von ekstatischen Trommelwirbeln aufgefangen und eingefasst zu werden. Wollten Coil nicht irgendwann mal ein Konzert in einer Höhle nur für Fledermäuße geben? Eine solche Musik hätte ihnen wohl einen Gehörsturz bereitet. “Rituals of Mercy” überrascht daraufhin mit einem klaren, fast tanzbaren 4/4-Takt, kombiniert mit postpunkigem Gesang. “War Is I-Legal” wirkt dagegen wie eine Hommage an die hörspielartigen Experimente von Vivenza, De Fabriek oder Genetic Transmission, bevor es in flächigen Noise übergeht und am Ende auch in diesem die Handschrift von NosoKoma offenbart.
In “Mediterranean Crossovers” treffen abgründige Schreie und rhythmische Strukturen auf ein dunkel knarrendes Fundament, das einen zwiespältigen Groove erzeugt. Mit “Indian Summer” zeigen die beiden einmal mehr, dass lärmige Geräuschmusik auch ohne Rückgriff auf die Regeln ausgetretener Genrepfade funktionieren kann. Knarrige Stimme, blubbernde Effekte und ein leichter Acid-Touch treffen auf abgründige Schreie, als wolle jemand den seinem Ende entgegengehenden Sommer festhalten. “Forever Nigella”, vermutlich launige eine Hommage auf eine englische Kochsendung, schließt schließlich mit einem alles überrollenden Trommelwirbel und einem vielschichtigen Gemurmel, das fast ein bisschen zu heiter wirkt. Eher ein Cliffhanger als ein versöhnlicher Schluss, und man hofft, dass es tatsächlich einer ist. Hab ich gerade Beafpie und Fishcake verstanden?
Dass “Tarantos 20_24″ von einem Duo kommt, dessen Mitglieder längst tiefer in der Experimentalmusik verankert sind, überrascht kaum. José Macabra lehrt Klangkunst und Produktion in London und arbeitet an der Schnittstelle von Industrial, Ritual, Klangkunst eben und experimenteller Elektronik. Nicola Serra, aus Sardinien stammend, heute ebenfalls in London ansässig, ist als Schlagzeuger und Klangforscher seit Jahren aktiv. Mit seinem Festival Dronica hat er eine Plattform für Grenzgänger der elektronischen Musik etabliert, während er unter dem Namen Il Santo Bevitore das Verhältnis von Folklore, Ritual und Elektronik auslotet.
Begleitet wird das Debüt von einer Trilogie kurzer Filme, die das Album cinematisch erweitern. Wie in der Musik werden auch hier Fragmentierung, Auflösung und Konkretion zu eigenen visuellen Motiven, die zusammen mit der Musik einen ganz eigenen Kosmos entstehen lassen.
Label: Phage Tapes