Erinnerung und Gegenwart liegen in “Blue Ghost” so dicht beieinander, dass sie kaum noch zu unterscheiden sind. Das Album beginnt wie das Fragment einer Erinnerung: Geräusche tauchen auf, verwehen, schichten sich übereinander, als lausche man einem Ort, den man nie wirklich verlassen hat. Der Text, der dem Werk von Georges Daou vorangestellt ist, evoziert diese Stimmung bereits in Worten: das Meer als Schwelle zwischen dem, was war, und dem, was nie war, das Loslassen der Vorstellung vom “endlosen Sommer”, ohne sie zu verlieren. Aus dieser Haltung heraus entsteht eine Musik, die weniger erzählt als erinnert, weniger sucht als festhält, was bleibt, wenn das Flüchtige schon verflogen ist.
Daou, Architekt und Musiker aus Paris, verwandelt in “Blue Ghost” dieses Gefühl in Klang. Seine dröhnenden, warmen Schichten, das Knacken, Pfeifen und Rauschen im Hintergrund, schaffen eine Atmosphäre, die sich kaum greifen lässt und gerade deshalb so vertraut wirkt. In “Memory Like Dreams” schimmert die maritime Melancholie erstmals deutlicher auf – das ferne Rufen von Seevögeln, der Rhythmus der Wellen, vielleicht bloß imaginiert, aber mit der Eindringlichkeit echter Erinnerung. Später, in “Bitter Truth”, werden alte Gesangsschnipsel zu geisterhaften Echos, halb verborgen wie Stimmen aus einem Radiogerät am Strand einer vergangenen Zeit. Auch in den raueren, leicht verkratzten Momenten bleibt die Musik warm, nie abweisend. Die Melancholie, die sie durchzieht, hat nichts Bitteres – sie ist abgeklärt, beinahe zärtlich.
“Waiting by the Sea” wirkt wie ein leiser Wendepunkt: ein Stück, das mit entrückter Schönheit aufhorchen lässt, hypnotisch, heimlich elektrisierend und klar zugleich. Danach ziehen stillere, mal verträumte, mal fast liedhafte Passagen vorbei, deren Klaviermotive von einem feinen Rauschen umhüllt sind. Dann lässt “The Storm” mit seinem rauen Wind und den halbversteckten Melodietupfern noch einen heimlichen emotionalen Höhepunkt entstehen, bevor sich das Album mit hellen, versöhnlichen Melodien schließt, als läge in der Sehnsucht selbst schon die Ruhe ihrer Erfüllung.
“Blue Ghost” ist ein stilles, trotz seiner subtilen Eingängigkeit vielschichtiges Werk, das die Grenze zwischen Vergangenheit nd Gegenwart, zwischen Erinnerung und Präsenz verschwimmen lässt. Es bleibt – wie der Schatten eines Sommers auf dem Meer – flüchtig, aber von seltener Wärme.
Label: Ruptured