V.A.: The Oneirocritical Society Vol. 2

Die im Großraum Athen ansässige Oneirocritical Society ist in eigenen Worten eine Plattform für Träume in loopbarer Form. Verschiedene Künstler, primär aus den Medien Musik und Dichtung präsentieren Sequenzen, die sich mit Darstellungen ihrer eigenen nächtlichen Bildern überlagern sollen. Der vor einigen Wochen erschienene erste Teil der Reihe versammelte elf Beiträge aus dem Umfeld experimenteller und folkig-dunkler Projekte wie The Gray Field Recordings, Temple Music, Nikos Fokas und weiteren Acts aus dem Kreis der Black Lesbian Fishermen. Der neue Teil knüpft daran an und erweitert die Palette erneut in unterschiedliche Richtungen.

Das eröffnende Stück “Drowning” des Belgiers Ashtoreth setzt sofort auf Irritation: Donner, Knarren, Wassergeräusche, zwei Stimmen – eine weiblich und vermutlich gesamplet, eine männlich – und metallische Akzente erzeugen eine Atmosphäre, die, nicht nur im rezitierten Text, sondern auch im Charakter der Soundschichten, zwischen Bewegung und Paralyse steht. Im darauf folgenden “Call Of The Fuathan” von Cindytalk wird Wasser so verfremdet, dass es perkussive Eigenschaften annimmt. Das Material verdichtet sich stetig, bis noisige Spitzen und verzerrte Vocals den Bezug zu jenen mythischen Wasserwesen aus dem Titel unterstreichen.

Bei Darklily, deren Stück “Follow The White Rose” auf einer verhallten Rezitation basiert, steht die Spannung zwischen Stimme und tiefem Dröhnen im Mittelpunkt. Die Andeutung einer bedrohlichen Situation bleibt die primäre inhaltliche Setzung und verleiht dem Beitrag eine deutlich morbide Schwere. Eine kleinteilige Geräuschwelt bestimmt “Recurrent” des belgischen Soundartist K. Aasgier, der u.a. auch unter dem Namen UrZon aktiv ist. Krächzende Vogelstimmen, einmal mehr Wasser und ein Stimmenmonolog über einen mysteriösen Schauplatz verbinden sich zu einer Bildfolge, die beim Aufstieg auf einen verwunschenen Turm den Wunsch betont, nichts erinnern zu müssen. Die Kombination aus Geräuschkunst und Rezitation erinnert, auch in den lärmigeren Momenten, leicht an späte Coil.

In seiner relativen Kürze intensiv wirkt “Mozart, With A Black Dog”, ein Beitrag des Athener Musikers und Klangkünstlers Petros Lamprides mit dem obskuren Projekt GutterDarkBaroque. Eine Frauenstimme beschreibt einen schwarzen Hund, der in Asche wühlt, und lässt mit prasselndem Regen auch das Aquatische wieder zu Wort kommen, und ein streicherbasiertes Ensemble sorgt für Kohärenz in diesem märchenhaften Szenario. Ein Wechsel in Richtung einer unbestimmten Traumlogik zeigt sich in “Baltic Spirit” von Rendeece. Die griechische Rezitation kippt punktuell in Zeitraffer, brodelnde Schichten schieben sich darunter, und eine Sopranfigur, vermutlich aus einer älteren Aufnahme, taucht wie ein fremder Einschub auf. Erst gegen Ende gewinnt die bedrohliche Färbung eindeutig die Oberhand.

Elektronisch und minimal gehalten ist “Tangled Reverie” von SAD, wo eine Stimme Tagesreste und Eindrücke kurz vor dem Einschlafen beschreibt. Das rhythmische Pulsieren wirkt kohärenzstiftend und dennoch angespannt, an manchen Stellen scheint die Stimme in Gesang übergehen zu wollen, was jedoch nicht geschieht. Regen- und Wasserbilder tauchen erneut auf. Mit “The Lesnes Dragon” von Temple Music entsteht zunächst ein fast krautiger, akustisch geprägter Gegensatz. Gitarrenfiguren und rasselnde Perkussion bringen eine dunkle, psychedelische Note ein, bevor Alan Trench eine Traumsequenz schildert: Londoner Straßenzüge, eine Unterführung, ein violettes Auto, ein kurzer Halt bei einem schwarz arbeitenden Metzger im Obergeschoss, und schließlich ein verlassenes, nur durch eine lose Holzplatte zugängliches Haus. Pupi Avati hätte die Sequenz zu einem weiteren Giallo ausbauen können.

In “A Dream Within A Dream Within A Dream” greift Adam Geoffrey Cole alias Trappist Afterland auf ein Stück seines “Insect in Amber”-Albums zurück und dreht dessen fragile Folk-Schönheit durch den surrealen Fleischwolf. Die Anbindung an Poes Gedicht bleibt erkennbar, doch Feedback und zusätzliche Geräusche verschieben das Material in eine seltsam imaginative Variation, die wie ein eigener Traum wirkt und somit dem Text gleichsam noch stärker entspricht. Fragen nach Vergänglichkeit und Realität bleiben bestehen und rücken zugleich in eine verschwommene Ferne.

Den Abschluss bildet “Houses Of The Moon” von The Winter Residence, einem Projekt on Grey Field Recordings und Mike Seed, geprägt von minimalem Pulsieren und einer sehr nah aufgenommenen Stimme. Eine nächtliche Wüste, hin- und hergleitende weiße Gebäude, unsichtbare bellende Hunde, ein Mann in Schwarz und schließlich ein Feldbett bilden eine Sequenzenfolge, die recht unvermittelt endet, als würde die Erinnerung an der Stelle abreißen.

Eine besondere Stärke der Compilation besteht m.E. in der Ausrichtung der beeigesteuerten Musik, die trotz unterschiedlicher Stile immer im für weniger damit vertraute wahrscheinlich sehr heterogen wirkenden Grenzland zwischen hypnotischer Dröhnung, angefolkter Psychedelik und kollagenhafter Hörspieltendenz zuhause sind und diesen Ort v.a. ohne jedes plakative Brimborium ausgestalten, was zur Logik realer Träume wunderbar passt. Die stark persönliche Note in den wiedergegebenen Geschichten unterfüttert dies einmal mehr. Ob der aquatische Motivkomplex zufällig zu einem der roten Fäden wurde, ist eine interessante Frage und nur ein Grund, auf etwaige weitere Folgen gespannt zu ein.