Vor einigen Monaten bereits brachten 9T Antiope, das in Paris lebende Duo, das bekannt ist für seine dunklen desolaten Lärmwelten, in die in den letzten Jahren immer mehr klassische Instrumente Einzug gehalten haben, ein Konzeptalbum heraus, das sich dem Horror Vacui, dem Schrecken der Leerheit widmete. Dass das Cover so etwas wie ein heimelig-unheimliches Spukhaus nach Puppenhausmanier zeigt, und das ein solches auch immer wieder in den einzelnen Songs auftaucht, mag einen zunächst verwundern, denn bei der Frage nach dem, was einen in von Geistern heimgesuchten Häusern ängstigt, fällt einem vielleicht nicht als erstes deren innere Leere ein. Auf einen zweiten Blick scheint die Verknüpfung aber vielleicht schon etwas stimmiger, denn das was in einem Haus spukt ist ja im Großen und Ganzen das, was dort einmal gelebt hat und nun auf gespenstische Weise abwesend ist. Das Album der beiden Iraner ergründet genau dieses Phänomen und lotet dabei die Verknüpftheit von Erinnerung und Verfall aus. Es ist ein akustischer Ausflug in eine unwirkliche Welt, die inhaltlich und klanglich Räume erschließt und Ambivalenzen feiert.
Das eröffnende “Shapeshift” führt mit einer perkussiv gehämmerten Pizzicato-Salve auf einem Saiteninstrument in die unheimliche Welt, während Shamloos Stimme in trügerischer Gelassenheit zwischen Flüstern und murmelndem Gesang pendelt. Die vordergründige Ruhe, die sich dabei entfaltet, lässt jedoch das Unruhige hinter der Oberfläche nur umso deutlicher hervorscheinen, dass sich in den Zeilen “No more, no more emotions… no more dreaming” entlädt und die Unsicherheit einfängt, die entsteht, wenn das Vertraute entfremdet wirkt. Der Bruch zwischen klanglicher Schönheit und latenter Spannung bleibt bestimmend, das Unvollkommene scheint Ziel, wie der Begleitext bestätigt: “die physischen Details von Körpern und Erfahrungen zeigen sich als Brüche”.
“Ready Player One” setzt diesen Eindruck durch nervöse, frickelige Pizzicato-Klänge fort, Shamloos Vocals wirken fast stoisch, bleiben zwischen den hektischen Streichern in einem distanzierten Raum. Ein Ausbruch gegen Ende des Tracks, mit lauten Shouts und knallenden Beats, entlädt die angestaute Unruhe, die sich wie ein unerwartetes Ende einer Spannungsschleife offenbart. In “Easy on the exit” zeigt das Duo eine fast sanfte Seite. In dem beinahe balladesken Stück erzeugt Shamloo Gesang einer fast ätherische Entrücktheit, die mit verfremdeten Stimmeffekten von Aghiani begleitet wird. Die barock anmutende Harmonie und das überraschend klassische Setting wirken in ihrer wehmütigen Aura umso berührender, wenn man den härteren Noise der frühen Alben erinnert. Der Titeltrack dringt dann schnurgerade in das narrative Zentrum das Albums vor. Wie ein Hörspiel zeichnet er ein streichergestütztes Szenario, in dem Shamloo mit forcierten Konsonanten und rauen Stimmlauten eine düstere Geschichte erzählt. Diese Geschichte – das “Haus am Ende der Straße”, in welchem ganz wesentliche Dinge fehlen und andere nicht sein sollten – bleibt mysteriös und schwebend.
“Mount 22 ” eröffnet die zweite Hälfte des Albums mit sanftem Strumming auf einem Saiteninstrument und zeigt vielleicht die folkigsten Tendenzen. Shamloos Stimmesang wirkt hier trostreich, fast friedvoll, während dunkle Untertöne durch subtile perkussive Elemente wieder ans Licht treten. In der Harmonie dieser Elemente scheint eine Sehnsucht nach Licht und Erlösung aufzublitzen – es entsteht ein kämpferischer Ausdruck, der dem Track eine dichte Emotionalität verleiht. Mit “Canvas blank” taucht das Duo in ein beinahe lethargisches, monotones Szenario ab. Die flehentlichen Gesangsparts verstärken das Gefühl der Orientierungslosigkeit, das durch eine allzu schöne ambientartige Klangfläche noch stärker betont wird. Das sich leicht “nachziehende” Taktgefühl und die schwebende Melodie fügen sich zu einem Gesamtbild, dass in einer aus den Fugen geratene Welt führt.
“Crimson” beginnt mit entrückten Streicherklängen, die fast an eine Kamanche erinnern, und weckt eine intensive Wehmut. Schamlos Stimme, die hier in schnellen Intervallen zwischen heiserer Rezitation und ornamentalem Sopran wechselt, wirkt wie ein Duett mit sich selbst, dass melancholische Bilder heraufbeschwört. Die Stimmung bleibt intensiv und vermittelt das Gefühl eines verwirrenden, winddurchwirbelten moments. “Run from the hills” erzeugt schließlich eine greifbare Stimmung und (ent-)führt wie durch eine subjektive Kameraführung in einen halb beleuchteten grobkörnig gestalteten Raum. Diese Stimmung verleiht dem Track eine cinematische Tiefe und reduziert Bilder eines düsteren Schauplatzes, an dem Verfolgung droht und das Unbekannte hinter jeder Ecke lauern könnte. Der Abschlusstrack “Midnight Sun” überrascht mit energisch gezupften Seiten, deren abgehackte Rhythmus fast funky anmutet und dem Gesang etwas liebliches, fast schwebend verspieltes verleiht. Diese unerwartete Leichtigkeit schafft einen gelungenen Kontrast zum ansonsten sehr düsteren Album und passt perfekt zum Artwork, das mit seiner Symbolik zwischen Schönheit und Bedrohung balanciert.
“Horror vacui” ist ein konzeptuelles Werk, dass die Angst vor der Leere nicht nur anspricht, sondern mit Klang und Texten nachzeichnet und so die Spannung zwischen Horror und Harmonie eindrucksvoll erfahrbar macht. Wie das Duo im Interview mit Foxy Digitalis sagte: “The narrative woven througout horror vacui emerged organically from our collective fascination with spaces and der kapazity the old memories or sounds”. Das Album fordert uns heraus, den Raum zwischen den Dingen zu sehen und zu lauschen, und dort die eigene Furcht aber auch die ganz eigene Schönheit verbundene Orte zu entdecken. (A.Kaudaht)
Label: American Dreams