Die Luft ist schwer, mit Drama aufgeladen – so beschreibt es ein Gedicht von Charbel Haber, dessen Verse dem neuen Album von Haber, Nicolás Jaar und Sary Moussa als Titel und atmosphärische Grundlage dienen. Es zeichnet das Bild einer Welt im Umbruch, in der Realität und Fiktion verschwimmen, Nachrichten zur Groteske werden, und das Alltägliche von einer latenten Gewalt durchdrungen ist. Die in ein an William Turner erinnerndes Licht getauchte Stadt – gemeint ist Beirut, die Heimatstadt von zweien der drei Musiker – erscheint darin wie eine Kulisse für eine Abfolge letzter Kriege, in der Möwen über den verlassenen Küstenmüllplätzen regieren und der Sommer von Blei und Konfusion durchtränkt ist.
In diesen Zeilen spiegelt sich ein Gefühl von Überreizung und Zersetzung, das sich auch in der Musik niederschlägt: eine Erschöpfung, die dennoch nicht zur Ruhe kommt, ein Schwebezustand zwischen Überwältigung und klarem Blick. “Crashing waves dance to the rhythm set by the broadcast journalist revealing the tragedies of the day”, dessen langer Titel definitiv die Handschrift Habers trägt, ist ein Album, das nichts erklären will. Es beginnt mit vorsichtigem Zupfen auf Habers E-Gitarre, ein fast tastendes Erkunden, das von rauschenden und kratzenden Klängen durchzogen ist. Nichts drängt, nichts zieht in eine bestimmte Richtung, doch unter der Oberfläche scheint sich etwas zusammenzubrauen. Dieser erste Eindruck bleibt nicht konstant, das Eröffnungsstück verändert sich spürbar, gleitet schließlich in eine fast orchestrale Breite über, durchzogen von hellen, pfeifenden Tönen, die nostalgisch und futuristisch zugleich wirken. Es sind Klänge, die an eine Panflöte erinnern, wohl aber von Nicolás Jaars Bassklarinette stammen.
Auch im zweiten Stück bleibt dieses Element präsent, jetzt getragen von entrückten, schwebenden Flächen, deren Klangkörper sich zunehmend verdichten: Hier scheint Sary Moussas Live-Sound-Processing besonders deutlich seine Wirkung zu entfalten. Das Pfeifen wird lauter, fast dringlich, bringt ein dramatisches Moment in die ansonsten sanfte Bewegung. Es sind keine abrupten Brüche, sondern subtile Verschiebungen, die das Hören bestimmen. Tremolierende Elektronik, deren Ursprung schwer zu bestimmen ist, vielleicht digital verfremdet – in jedem Fall rauer, dunkler, unruhiger. Der dritte Track beginnt gleich mit dunkleren Tönen. Helle, nervöse Frequenzen setzen einen Kontrapunkt. Es bimmelt, es brodelt, bis sich die Klänge schließlich zu einem Lärm bündeln, der etwas filmisch Aufgeladenes hat: Suspense, aber ohne aufgelöst zu werden. Gegen Ende kippt die Stimmung ins Surreale, die Klarinette schnattert und übernimmt gleich zu Beginn des abschließenden Stücks erneut die Führung. Ein verlangsamter, pulsierender Takt, fast wie ein Herzschlag in Zeitlupe, trägt das Finale. Langsame, fast schleppende Gitarrenfiguren erinnern an Dark Jazz, während im Hintergrund Geräusche knacken, brodeln und sich zu einem dicht gewebten Geflecht auftürmen. Hohe, arienhafte Töne durchqueren das Stück wie Lichtstrahlen, die durch trübe Luft schneiden, begleitet von kratzender Dröhnung und Rückkopplung.
Dieses Zusammenwirken dreier sehr aktiver Musiker (über Moussas Soloalbum bald mehr auf diesen Seiten) wirkt nie wie das Produkt bloßer Improvisation. Vielmehr entsteht hier eine dichte Struktur aus Klang, Erinnerung und Geste, die sich nicht analytisch aufdrängt, sondern atmosphärisch entfaltet. Das Ergebnis ist ein filmisch anmutendes Hörbild, das ebenso politisch wie poetisch lesbar ist. Ein Album, das sich Zeit nimmt, um seine eigenen Bedingungen zu setzen, und das einen Moment lang die Vorstellung erlaubt, dass sich das Meer vielleicht doch durchsetzt. (U.S.)
Label: Ruptured