Vieles spricht heute eher dagegen, musikalische Arbeiten gerade aus den experimentierfreudigeren Bereichen als Reise oder Klangreise zu beschreiben, v.a. aufgrund der Überstrapaziertheit solcher Begriffe im musikjournalistischen Diskurs. “Hidden Eyes of a Ghost Jungle”, die vor einigen Wochen erschienene LP des sizilianischen Projektes Lay Llamas, mutet allerdings tatsächlich wie ein musikalischer Reiseroman an, der einen langsam und doch stetig in ein imaginäres Terrain führt, in welchen vertraute wie fremde Klänge, vermischt und überführt in stets neue Konstellationen, gewohnte Wahrnehmungsmuster infrage stellen. Nicola Giunta, das Mastermind hinter dem Projekt, lässt eine akustische Topografie entstehen, in der sich hypnotischer Groove, Echos der Folklore einer vierten Welt, versch(r)obene Klangfarben und die Ahnung zerfließender Narrative überlagern.
Schon der Einstieg mit “Let Me Heal” entfaltet eine geheimnisvolle Spannung: Flächige, sich langsam wandelnde Sounds, darunter Andeutungen von (imaginären?) Stimmen, wecken gleich zu Beginn Neugier, dann öffnet sich der Raum abrupt: Aufgewühlte Vogelstimmen, plätscherndes Wasser, ein liturgisch anmutender Chor, der “Set me free” intoniert. Bereits hier wird deutlich, wie konsequent Giunta seine Mittel einsetzt, um Unterschiedlichstes nicht nur zu verbinden, sondern in ein organisches Geflecht zu überführen.
“Through The Magic Gateway” – mit Gaststimme Joao Branco Kyron – kombiniert portugiesischsprachige Rezitation, luftige Flöten und Handdrums zu einem Szenario von tranceartiger Dichte und lässt ein Stück entstehen, das auch jene ansprechen könnte, die an den “ethnolastigeren” Aufnahmen von Dead Can Dance Gefallen finden. “Golden Snakes On Our Path” beginnt mit akustischer Gitarre und taumelnden Synthies, hinzu kommt gehauchtes Summen. Nach und nach steigert sich der Song in Tempo und Klangfülle, doch trotz der zunehmenden Dichte bleibt eine schwebende Grundstimmung erhalten, begleitet von einer unterschwelligen Spukhaftigkeit. “Down To The Waterfall” hingegen ist deutlich psychedelischer aufgeladen: hallende Perkussion, gesteigertes Tempo, kleinteilige rhythmische Verschiebungen bewirken zusammen eine deutliche graduellen Steigerung der Intensität, bei der die Details stets fein gesetzt sind, das Resultat jedoch fokussiert bleibt.
In “Safe And Sound Sailing The Holy River” übernimmt wieder die verfremdete Stimme das Zentrum, diesmal summend, hinzu kommen glöckelnde und holzige Klänge, ferner Gitarren und Flöten, die dem Stück einen atmosphärischen Folklore-Hauch beigeben. Das kurze “Ancient Caves Are Calling Us” wirkt wie ein Interludium: knisternde Sounds, brodelnde Bässe und Stimmenmurmel geben den Ton an. “Suddenly A Ghost Jungle” beginnt vermeintlich pastoral, mit Vogelstimmen und sanftem Wind, aber wie so oft bei Lay Llamas kippt das Bild: aus dem scheinbar Idyllischen mit all den für Solcherlei gemachten Zutaten entsteht ein verdichtetes, fast lärmendes Tableau. Die Geister des Titels verschaffen sich Gehör.
“The Flowers In Their Hands” bringt donnernde, hölzerne Rhythmen, trötende Geräusche (oder Stimmen?), einen chorartigen Männergesang und gesamplete Sprachfetzen zusammen. Trotz der Fülle wirkt nichts beliebig. Mit “Everything Is Burning Down Slowly” setzt Giunta auf ein hallgetränktes Dub-Gerüst, das flirrend und unheimlich zugleich wirkt. Auch wenn die kompositorische Ausrichtung eher an ein Interludium erinnert, überzeugt die Sorgfalt im klanglichen Detail.
Der Abschluss mit dem kurzen “The Weight You’re Carrying On” wirkt dann beinahe lakonisch: besinnlicher Gesang, zur Unkenntlichkeit verfremdet, wird von tiefen, knarrenden Bässen akzentuiert. Gegen Ende ein fast selbstverständliches Tremolieren, das dieses spannungsvolle, ereignisreiche Album betont unspektakulär ausklingen lässt. (U.S.)
Label: Delete Recordings