ALI BALIGHI: Ghazale Vay

Manchmal wirkt Musik und Klangkunst am stärksten dann, wenn sie sich scheinbar widersprüchlicher Elemente bedient: Geräusche, die wie Naturereignisse klingen, treffen auf klassische Instrumente, die zugleich vertraut und verfremdet wirken. In Ali Balighis neuem Album “Ghazale Vay” wird genau dieses Spannungsfeld produktiv gemacht. Der aus dem Iran stammende Komponist und Klanggestalter, der derzeit in den USA ansässig ist, verbindet darin zusammen mit einem siebenköpfigen Ensemble Einflüsse persischer Musiktraditionen mit zeitgenössischen Spielweisen, unkonventionellen Klangerzeugungen und elektroakustischen Elementen.

Im Zentrum stehen fünf unterschiedlich große Blöcke, die je verschiedene Ideen entfalten. Besonders markant ist das eröffnende dreiteilige “A Song Below Water”. Schon im ersten “Movement” wird man mit metallisch scheppernden und aquatisch plätschernden Geräuschen konfrontiert, die wie eine stetige Kulisse durch die Komposition führen. Nach einer kurzen Explosion tritt ein Ensemble aus klassischen Instrumenten hinzu, wobei manche Klänge zweckentfremdet erscheinen und sich immer wieder Momente der Spannung aufbauen. Der zweite Teil arbeitet mit dramatischeren Akzenten, die an die Ästhetik alter Stummfilme erinnern: donnernd, scharf gezeichnet, stellenweise exaltiert. Im dritten Teil dagegen dominiert ein dunkler, bedrohlicher Grundcharakter, den helle Bläser nur kurzzeitig aufhellen, bevor schwere Einschläge und marschierende Rhythmen wieder Unsicherheit erzeugen. Allein dieses Material hätte, wenn ausgedehnter, ein ganzes Album ohne unnötige Längen füllen können.

Einen ganz anderen Charakter haben die zahlreichen Miniaturen, die unter dem Titel “Saz-o-Dohol” versammelt sind. Jede von ihnen dauert kaum länger als eine Minute, die meisten so um die dreißig Sekunden. Wiederkehrend ist dabei das Klarinettenmotiv, das sich in unterschiedlichen Färbungen und Verzerrungen präsentiert, mal von unruhigem Trommeln begleitet, mal in verspieltem Trillern, mal mit abruptem Paukenrhythmus. Gemeinsam ergibt sich ein fragmentarisches, fast mosaikartiges Bild, das zugleich auf die festliche Tradition von Nowruz verweist, bei der diese Motive mit den titelgebenden Instrumenten umgesetzt wurden: Die Saz ist eine auch heute noch populäre Langhalslaute, die Dohol oder Dhol ist eine ursprünglich aus Zentralasien stammenden Röhrentrommel.

Mit “Game” rückt Balighi das Element des Spielerischen in den Vordergrund. Metallisch federnde und brodelnde Klänge entwickeln eine Dynamik, die sich stetig steigert. Noch intensiver wirkt “Composition Untitle Two”: schnelle, kleinteilige Rhythmen und hölzerne Schläge formieren sich zu einer flächigen Struktur, bis sich daraus unvermittelt ein eruptiver Lärm herausarbeitet. Dieser Kontrast zwischen kleinteiligem Detail und plötzlicher Wucht gehört zu den eindrücklichsten Momenten der Veröffentlichung. Das titelgebende “Ghazale Vay” schließlich eröffnet mit einer Regenkulisse, über die sich schrittweise weitere Schichten legen. Ein Schwarm imitierter Vogelstimmen tritt hinzu, bevor klassische Instrumente wieder klarer hervortreten und das Stück zunehmend dichter wird. Auch hier changiert die Atmosphäre: Einerseits vermittelt der Regen etwas Beruhigendes, andererseits bringen die Bläser Passagen voller Spannung und Gefahr ein. Die mythologische Inspiration – der persische Windgott Izad-e-Vay – spiegelt sich in diesem unbestimmten Charakter deutlich wider.

“Ghazale Vay”, digital veröffentlicht vom Noise a Noise-Nachfolgelabel aNoise, ist ein Album, das durch seine bei entsprechender Aufmerksamkeit aum zu überhörende Vielfalt besticht: kurze Skizzen und ausladende Sätze, Naturassoziationen und präparierte Klaviere, traditionelle Anklänge und experimentelle Radikalität. Trotz dieser Gegensätze bleibt die Handschrift Balighis klar erkennbar: die Suche nach neuen musikalischen Räumen, ohne die Verbindungen zur eigenen Herkunft aufzugeben. (U.S.)

Label aNoise