Die aus Kyoto stammende Pianistin und Soundkünstlerin MIDORI HIRANO hat sich mit ihren Tonträgern und Filmscores längst auch in ihrer deutschen Wahlheimat einen Namen gemacht. Mit ihren ambienten Klangwelten, deren meditativer Charakter stets hervorgehoben wird, ist die Musikerin ein regelmäßiger Gast auf Berliner Bühnen; Club Transmediale und das bekannteste Filmfestival der Stadt sind dabei nur bekannte Wegmarken, kleinere Themenabende wie zuletzt bei Staalplaat willkommene Gelegenheiten, ihre Musik auch im kleineren Rahmen zu präsentieren. Neben den Aufnahmen, die sie unter ihrem eigenen Namen herausbringt, ist das Projekt MIMICOF ihr zweites Standbein. Hier lotet sie vertracktere Gefilde aus: Dezente, doch stets unvorhersehbare Rhythmen und ein vielgestaltiges Soundmosaik bilden die wichtigsten Zutaten.
„RundSkipper“ ist das zweite Schaffensergebnis aus diesem Projekt und erschien just auf dem japanischen Progressive Form-Label. Hierzulande bisher nur über Import erhältlich ist das gute Stück vielleicht eines der reizvollsten Electronica-Alben, die ein Programm wie das von Raster-Noton bereichert hätten. Schon bei ihren Ambientaufnahmen hat Hirano stets die Einzelmomente im Blick. Doch während die Details dort immer Teil eines fließenden Zusammenhangs sind, treten sie hier viel selbständiger in den Vordergrund. Beim ersten Hören freilich verstecken sie sich noch unter den schönen, aber nie zu schönen Melodiefolgen des E-Pianos, die dem Eröffnungsstück „Borderline“ zunächst einen sehr ruhigen Charakter verleihen. Darunter kratzt und faucht und dröhnt es allerorten, mal elektronisch, mal in Form metallener Geräusche, die wohl auf Feldaufnahmen basieren. Das gleiche gilt für den Klang zerfetzten Papiers, der ebenso an einen Reißwolf erinnert wie das Covermotiv. Am Sound erkennt man schnell, dass die Künstlerin auch Produzentin ist und Freude am Arrangieren von Klängen hat. Wirkt das Piano zunächst wie ein geduldiges, wohltuendes Pflaster über all dem rauen Kratzen, so kommen die harscheren Momente bald deutlicher zum Vorschein. In „Hills in the Ocean“ sorgen Hochfrequenztöne für Druck, Verzerrungen und Rhythmik kontrastieren in „Foil“ mit filigrane Klangpartikeln. So wie ihre Ambientseite niemals in Gefühlsseligkeit ausartet, sind ihre wechselhaften Rhythmen nie bloß stoffelige Tanzbeats, die ungebrochen in Ohr und Bein gehen.
Bei „RundSkipper“ zeigt sich ihre Kunstfertigkeit im Umgang mit Field Recordings vielleicht besser als je zuvor. Kubistische Noisequader und fliegende Späne haben im komplexesten Stück „Skipper“ ihren Auftritt. „Pulled up“ klingt nach Sandkörnern und erinnert an die Ambientsounds von Gruppen wie BLIND CAVE SALAMANDER, das 90er E-Piano stimmt Jazzakorde an, einige Plastiksounds sorgen für witzige Momente. Was sich in der Beschreibung konfus anhört, wird in Wirklichkeit durch spielerisches Arrangement gut zusammengehalten. Mal ist es das Piano, dass die Brücke zum nächsten Soundereignis schlägt, mal ein schlichtes Drone. Im letzten Drittel des Albums dürfen dann auch fremde Hände mitmischen. SERPH gestalten „Pulled up“ noch etwas tanzbarer und poppiger, lassen es schneller zur Sache kommen, verzichten dafür etwas auf die Sogwirkung des ursprünglichen Tracks. „Tunnel“ gerät unter der Bearbeitung von FRANK BRETSCHNEIDER (KOMET) vielleicht noch etwas griffiger und vor allem rhythmusbetonter als das Original, steigert sich sukzessive, bis sich die Takte völlig im reinen Sound auflösen. FUGENN & THE WHITE ELEPHANTS verschaffen „Hills in the Ocean“ noch einmal ein ganz anderes, sehr plastisches Raumgefühl. „Aria“ unter der Hand von GO-QUALIA und ihren perkussiven Rock- und Metalzutaten bekommt dagegen eine fast infernalische Qualität.
RundSkipper hat etwas von einem Film ohne Ton, nur mit Musik, die einem die gezeigten Ereignisse umso bewusster macht. Der Hauptunterschied zu Hiranos Solosachen liegt vielleicht daran, dass man als Hörer häufiger wachgerüttelt wird und somit nur für kurze Momente im meditativen Mäandern versinkt. Befindet man sich bei Midori Hirano in einem Tagtraum, so hat man bei MimiCof die Gelegenheit, vielfältig bearbeitete Aufzeichnungen eines Tagtraumes aus der Ferne zu sehen. (U.S.)