Seit einiger Zeit hat dunkle Musik auch wieder in Medien jenseits subkultureller Engstirnigkeit Akzeptanz gefunden. Die Gründe dafür sind sicher unterschiedlicher Natur: Aber wahrscheinlich sollte man es nicht als Widerspiegelung der düsteren Zeiten, in denen wir leben, deuten, sondern viel eher damit erklären, dass inzwischen eine Reihe Künstler mit anderer musikalischer Sozialisation und aus den verschiedensten Genres einer angestaubten und mumifizierten Gattung eine Frischzellenkur verpasst haben. Dabei fällt auf, dass das Licht der Rezensenten oftmals auf immer die gleichen Künstler fällt, dass sowohl die Mainstreampresse als auch kleine und unabhängige Magazine immer auf fast schon inzestuöse Weise einen sehr überschaubaren Pool von Künstlern loben und besprechen und vergessen, dass es meistens die Ränder sind, an denen die spannendsten und originellsten Dinge geschehen.
Natalie Mering hat vor einigen Monaten nach einigen kleineren Veröffentlichungen auf Tape und CD-R ihr Debütvinyl „The Outside Room“ unter dem langen Namen Weyes Blood And The Dark Juices auf Not Not Fun Records veröffentlicht, auf dem sie auf sechs langen Stücken atmosphärische Musik spielt, die irgendwo zwischen Folk und Shoegaze, Song und Experiment, Traum und Realität, zwischen Sakralem und Profanem einzuordnen ist. Im folgenden Interview zeigt sich, dass Natalie mehr als nur ein paar leere Phrasen über ihre Musik und eine Vielzahl anderer Themen zu sagen hat.
Ist der Name, den du für dein kreatives Projekt gewählt hattest, eine Aspielung auf das Romandebüt von Flannery O’ Connor? Ich frage deshalb, weil einige Elemente des sogenannten “southern gothic“ schon interessant für dich sein könnten.
Ja, ist es. Ich las “Wise Blood” mit sechzehn, und gerade zu dieser Zeit begann ich auch aufzutreten. Ich war so fasziniert von dem Titel im buchstäblichen Sinn, von der Vorstellung, dass unser physisches Blut als eine Art Fernrohr durch die Zeit dienen könnte. Die Anspielung auf das Blut als eine Art geschichtlicher Träger für das, was der Mensch sein kann, ist einer der Gründe, warum ich Flannery O’ Connors Bücher so sehr schätze. Alle Stammbäume der Menschheit laufen, wenn man in der Zeit zurück geht, irgendwann zusammen.
In den Rezensionen zu deinen Platten scheinen bestimmte Aspekte immer wieder zur Sprache zu kommen, vor allem, wenn es um deine Stimme (wie Nico) und um Aufnahmetechniken (Lo-Fi) geht. Denkst du, Journalisten sind etwas faul, oder kommst du klar mit solchen Beschreibungen? War Nico ein Einfluss für deine eigene Musik?
Dass ich wie Nico klinge, ist unbeabsichtigt. Es ist wirklich ein reines Klangphänomen, wir sind beide relativ klassisch ausgebildete Sängerinnen, die in einer tieferen Stimmlage singen, so wie meist eher Männer singen. Und wir haben beide eine Vorliebe für archaische Melodien. Ich habe nie übermäßig viel Zeit mit ihrer Musik verbracht, aber ich denke, sie ist sehr schön. Ich habe nie versucht, ihr nachzueifern, das einzige Mal, dass ich mich wirklich mit ihr identifizierte, war erst vor kurzem, als ich ein Interview von ihr aus den frühen Achtzigern las. Darin sagte sie, das einzige, das sie bereut hätte, wäre kein Mann zu sein. Das ist wirklich eine unglaublich starke Aussage und sagt vor allem sehr viel über die Zeit aus, als Nico Musik schuf. Mir ist dieses Statement auf vielen Ebenen sympathisch, denn ich verbrachte einen guten Batzen meines Lebens damit, die Männer um ihre generellen Unterstützungssysteme zu beneiden, Systeme, die Frauen gegeneinander aufstacheln, Konkurrenzdruck schaffen und Frauen am Ende unter einander und von sich selbst isolieren. Nicos Geschichte hat eine sehr tragische Seite. Ich denke nicht, dass sie zu Lebzeiten eine volle Würdigung ihrer Solo-Werke (“Marble Index”, “Desert Shore”…) erfahren hatte, während ihre Würdigung heute die einer weiblichen musikalischen Institution noch überstiegen hat. Während ihres Lebens, fürchte ich, wurde sie sehr auf ihren Femme Fatale-Status reduziert, war bekannt durch ihre Liebschaften, durch Velvet Underground und Andy Warhol und als Supermodel. Sie wollte als wirkliche Herausforderung verstanden werden, als ein eigenständiges Kunstuniversum, das ebenso gut ist wie jeder Mann. Es ist unglaublich schwer, Musik zu machen in einer männerdominierten Umgebung, in der du als originell oder als “weiblich” in einem abschätzigen Sinne ausgegrenzt wirst. Eine solche Haltung zieht mich runter, weil sie die Komplexität der Musik übergeht zugunsten einer Kategorisierung der Musik aller Frauen unter plakativen Kategorien, um die Komplikation zu vermeiden, Frauen als Individuen zu erforschen, statt als Massenschwarm netter Vögel mit unterschiedlichem Federkleid (Ah ja, braune Federn, sie ist wohl eine Nico…). Das ist Faulheit, und außerdem ein ziemlich umfassendes kulturelles Problem, das weit über die Angelegenheiten von Frauen in der Musik hinaus geht. Es ist ein Bollwerk in den Köpfen der Leute, das nicht einmal absichtlich versucht, sie oder mich abzuqualifizieren, aber auf eine sehr natürliche Art funktioniert das so, ohne dass es einem bewusst ist. So gesehen haben die meisten Rezensionen den Nico-Vergleich als ein positives Kompliment gebraucht, und so habe ich es auch aufgefasst. Einige Rezensenten haben sogar betont, dass ich wohl nicht von Nico herkomme, was ich für richtig halte. Und was LoFi betrifft, so ist die Klangqualität weniger konstant als meine Songs und meine Stimme, es verändert sich mit der Zeit.
In einigen Beschreibungen wurde auf den spukhaften und außerweltlichen Charakter deiner Musik hingewiesen, was dann mit Begriffen wie “Ghost Folk” beschrieben wurde. Bei “The Outside Room“ gibt es ein Bild mit Schädeln auf dem Label, und du hattest Auftritte begleitet von brennenden Kerzen. Betrachtest du Weyes Blood als eine Art Stimme aus einer anderen Welt, und falls ja, wie müsste man sich diesen Ort vorstellen?
Weyes Blood ist von dieser Welt. Ich beanspruche meine eigene archetypische Sphäre an Ideen, Informationen, Erinnerungen und Träumen, und diese Späre ist so eng verwoben mit meiner Erfahrung der Alltagsrealität, dass ich sie niemals “außerweltlich” nennen könnte. Ich kenne die andere Welt gut genug, um sie von dieser Welt zu unterscheiden. Meine Musik kommt in jedem Fall von einem unsichtbaren Ort. Schädel sind starke Symbole, und diese Schädel sind von Hand gefertigt, krude und überzeichnet. Es hat alles mit meiner Faszination für Spukhaftes zu tun, mit einer sehr spielerischen Einverleibung der Todesangst in der amerikanischen Kultur, die mir schon immer Trost geben konnte, seit meiner Kindheit. Spuk in den Medien kann die Brücke schlagen zu der dunklen Seite derber Witze und beschäftigt sich mit den starken Archetypen der Angst in einer komplett sicheren, verzuckerten Art und Weise. Es ist wie seichtes Wasser, das auf tiefere, dunklere, mysteriösere Mächte der Realität verweist. In diesem spielerischen Raum können sich Ideen des Okkulten in wirklich künstlerischer Weise ausbreiten, nimm zum Beispiel die zahlreichen elektronischen Soundtracks von Gruselfilmen. Es ist ein Ventil in unserer Kultur für unerklärliche Wirklichkeiten und Phänomene. Die Kerzen sind nur gutes Licht, das eine gedämpfte Stimmung und echte Wärme erzeugt.
Au dem Cover von “The Outside Room“ scheint dein Gesicht mit den Wolken zu verschwimmen, was der Hülle etwas Traumartiges verleiht. Es gibt auch einen Song namens “Dream Song“. Welche Rolle spielen Träume und das Unbewusste für dich und deine Musik?
Ich bin stark beeinflusst von Träumen und sehe sie als Tore zu meinem Unbewussten. Träume sind in vieler Hinsicht untrennbar von meiner bewussten Realität, “Dream Song” handelt tatsächlich von dem merkwürdigen Ungleichgewicht, lieber zu träumen als wach zu sein. Die Art, wie sich meine Träume in meine Einflussspären fügen, ist sehr natürlich und schwer zu erklären. Ich hatte luzide Träume und es begann mit Sounds, ich träumte die schönste Musik der Welt und konnte mich nie völlig daran erinnern, wenn ich aufwachte. Es ist mein langfristiges Ziel, mich an die Musik zu erinnern, die ich in meinen Träumen höre.
Weyes Blood ist ein Soloprojekt, aber auf deinem Debüt werden außerdem noch die “Dark Juices” erwähnt. Worauf beziehen die sich?
Die Dark Juices beziehen sich auf mich als Bassistin, Schlagzeugerin, Tape-Manipulateurin, auf alles neben der Sängerin und Songwriterin. 2006 waren die Dark Juices sogar andere physische Menschen, zwei Individuen, um genau zu sein.
Wie gehst du vor, wenn du Songs schreibst und aufnimmst und welche Impulse bringen dich dazu, einen Song zu schreiben? Was kannst du uns über den normalen Prozess (falls es den gibt) berichten, bei dem ein Song entsteht?
Es beginnt alles mit einer Emotion. In der Regel ist es zuerst die Melodie, die sich aus dieser initialen Erfahrung heraus entwickelt, aber in seltenen Fällen entstehen auch die Worte zuerst. Ich schreibe die Melodie, und sie lebt und entwickelt sich schnell, dann verfestigt sich das und die Worte brechen hervor. Ich habe meistens viele Versionen von Songs, und die Auswahl an bestimmten Versen oder Refrains erfolgt meist nach dem Trial and Error-Verfahren, oder ich lasse die Sachen einfach wachsen. Manchmal trifft mich der Blitz und alles ist da in seiner kompletten Form.
Ich frage mich, ob das “du“, das in einigen der Songs auf deinem Debüt angesprochen wird, immer die gleiche Person ist.
Das wüsstest “du” wohl gerne?
Im Vergleich mit “The Outside Room“ scheint “Strange Chalices Of Seeing“ experimenteller und weniger songfokussiert zu sein. In welchem Verhältnis stehen die beiden Alben zueinander, und würdest du sagen, dass du mit “The Outside Room“ deine “Stimme” gefunden hast?
Ich habe immer gesungen und Songs geschrieben. “Strange Chalices of Seeing” war ein Frankenstein-Tape, auf dem Songs und Texte im Äther des Tapes vergraben waren, es war hauptsächlich improvisatorisch und zusammen geflickt und das bezog sich auf die verschiedenen “Kelche”, die halluzinatorischer Art waren. Es wurde in einer Woche fertig gestellt, ich hatte eine Deadline, weil ich gerade auf Tour war. Ich war schon immer etwas hin- und hergerissen zwischen dem Erforschen von Klängen und dem Erforschen von Songs, zwei Dinge, die sich in ihrer Polarität gegenseitig aus dem Rampenlicht ziehen können. Die klanglichen Einflüsse dominieren “Strange Chalices of Seeing” wegen des Zeitrahmens seiner Entstehung, aber sie sind auch auf meine damalige Faszination für die Underground Tape/Noise-Kultur zurück zu führen. Doch Weyes Blood war 2006 Wise Blood, und ich wollte nur die Akustikgitarre spielen und Balladen singen. Es war schon immer eher wie “The Outside Room”. Ich würde nicht sagen, dass ich auf “The Outside Room” meine Stimme gefunden habe; wenn, dann habe ich eine andere Version von “Strange Chalices of Seeing” gefunden – ein etwas geplanterer Versuch, diese beiden Universen zu verbinden. Es dauerte beinahe zwei Jahre, um “The Outside Room” fertig zu stellen; es ist ein netter Haufen Haferbrei, aber nicht unbedingt, der Haferbrei, den Goldlöckchen auswählen würde.
Welche Rolle spielen limitierte Veröffentlichungen auf Kassette? Sind das Räume, in denen du experimentieren kannst?
Ich bin da etwas hin- und hergerissen. Alles, was ich aufnehme um es zu veröffentlichen, kostet viel Zeit, Energie und Konzentration, aber angesichts meiner Faszination für eine große Bandbreite an möglichen Klängen, geben Tapes mir die Möglichkeit etwas randständigere Ideen zu verfolgen, die nur diejenien genießbar finden, die Underground-Tapes sammeln.
Hängt die leichte Veränderung deines Bandnamens (von „Bluhd“ zu „Blood“) auch mit einer leichten Veränderung deinr Musik zusammen?
Sicher, der Name könnte sich wieder ändern.
Du hast die die Bühne und auch einige Aufnahmen mit einer Reihe von Bands (z.B. Axolotl, Angels in America) geteilt. Wüdest du sagen, dass ihr trotz musikalischer Unterschiede alle eine gewisse Haltung zur Musik, zum Experimentieren und zum Leben generell gemeinsam habt?
Sicher, du kannst das von mehr oder weniger jedem Underground-Musiker sagen, es ist ein sehr spezieller Weg, der nur wenig honoriert wird, ein Weg für Menschen mit scharfer Vorstellungskraft und starken Ideen, für Menschen, die den gesellschaftlichen Mainstream hinterfragen und ihrer eigenen Kosmologie entsprechend leben.
Du hattest bereits mit der Band Jacky-O Motherfucker gespielt, die einen sehr improvisierten und spontanen Zugang zur Musik haben. Improvisierst du ebenfalls viel, wenn du Musik für Weyes Blood aufnimmst? Worin siehst du die wesentlichen Unterschiede zwischen den beiden Projekten?
Ich war nur einen Monat oder so in Jackie-O, es ist wirklich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Ich war damals eine Improvisationsmusikerin, deshalb passte es total. “Strange Chalices of Seeing” war sehr improvisiert, aber über die Jahre entwickelte ich mich wieder zurück zu meiner ursprünglichen Herangehensweise über eine feste Struktur, mit der ich das improvisierte Mäandern verknüpfen kann. Ich lasse den Dingen freien Lauf und überlasse Tapesounds und Harmonien dem Zufall, doch das Grundgerüst ist geplant. Improvisation ist wahrscheinlich so sehr Teil meines Zugangs zur Musik, dass sie gar nicht mehr bewusst wahrnehme. Ich bin eine Jammerin.
Dein Debüt kam bei Not Not Fun heraus. Hattest du von Anfang an vor, auf diesem Label zu veröffentlichen?
Das war nicht klar. Als sie mich 2008 fragten, sagte ich Ja, aber als ich erst einmal eigenes Geld zusammenhatte, dachte ich daran, es selbst herauszubringen - in der Hoffnung mit absolut nichts in Verbindung gebracht zu werden und die Leute wie aus heiterem Himmel zu überraschen. Die Idee hatte sich jedoch erledigt, als meine Ersparnisse alle aufgebraucht waren, da mich die Aufnahmen doch mehr Zeit kosteten als erwartet, und NNF waren so freundlich und blieben bei ihrem Angebot.
Da ich dir diese Fragen gerade einen Tag nach Halloween schicke, würdest du sagen, dass dich diese Zeit besonders interessiert (wenn man einmal von den extrem kommerziellen Aspekten absieht)?
Und nun ist es schon nach Thanksgiving! Aber ja, Halloween ist wirklich mein Lieblingsfeiertag. Ich liebe jede Feier während des Herbstes, die Gerüche und die Atmosphäre sind so schemenhaft und spröde. Viele rauchige Gerüche, brennendes Laub. Ich habe mich über die Jahre auch immer gerne durch aufwendige Kostüme ausgedrückt, und ich mag die kreative Freiheit, etwas oder jemand anderes zu sein. Ich denke, dass viele Menschen in Kostümen besser aussehen. Ich hab außerdem gerne eine Ausrede für ein bisschen Spuk, wo jeder andere auch damit klarkommt, und es ist eine von ganz wenigen Feierlichkeiten, in denen der Tod akzeptiert und spielerisch integiert ist.
Gibt es noch etwas, das du gerne gefragt (oder nicht gefragt) worden wärest?
Ich rede sehr gerne über Genderpolitik und andere Probleme der Moderne, und wie sie sich auf unsere Psyche und unsere Kultur auswirken. Es gibt eine Menge Verbindungen zwischen unserer Kultur und anderen alten Kulturen, und ich wünschte, dass mehr Menschen, gestört durch die erdrückenden Folgen der Globalisierung, in diesen zurückliegenden Zeiten nach Antworten suchen würden. Es gibt nichts Neues unter der Sonne.
(M.G. & U.S.)