„Transverse“ ist die Aufnahme eines gemeinsamen Auftritts von Chris Carter, Cosey Fanni Tutti und Nik Void (Factory Floor) im Roundhouse in London anlässlich des Mute-Jubiläums im vergangenen Jahr und natürlich kann man den Auftritt durch den Altersunterschied der Beteiligten als ein Treffen der Generationen interpretieren und symbolisch hochstilisieren.
Factory Floor sind was das Klangbild anbelangt, sicher sowohl von Factory Bands, insbesondere Joy Division (deren „She’s Lost Control“ sie auf „Bipolar“ fast zitieren), als auch von Throbbing Gristle, vielleicht in besonderem Maße von „20 Jazz Funk Greats“ bzw. Tracks wie „Hot On The Heels Of Love“ sowie frühen Chris and Cosey-Aufnahmen beeinflusst – insofern ist der gemeinsame Auftritt durchaus nachvollziehbar. Aber da ist noch etwas: Als vor Jahren unmittelbar nach der Reunion von Throbbing Gristle ein mehrtägiges Festival mit allen Nachfolgebands (Coil, Thee Majesty, Chris and Cosey) und weiteren Gästen unter dem Motto „Celebration of Industrial Musics in the 21st Century“ bei Camber Sands geplant war, wurde deutlich, dass die vier Bandmitglieder (Geistes-)Verwandtschaft eher bei Künstlern wie Matmos, Black Dice, Scanner oder Pan Sonic erkannten und weniger bei denjenigen, deren Leistung sich im 21. Jahrhundert (noch immer) darin beschränkt, dreißig Jahre später die Ästhetik von TG-Flyern zu reproduzieren und sich monomanisch mit Themen zu beschäftigen, an denen Throbbing Gristle selbst nach „Very Friendly“ und „Slug Bait“ nur noch bedingt Intresse hatten.
Nachdem Chris und Cosey sich zeitweise in CarterTutti umbenannt hatten, veröffentlichten sie mit „Cabal“ und „Feral Vapours of the Silver Ether“ zwei musikalisch weniger tanzbare Platten, wobei letzt genanntes Album eine wunderschön-warme, von der Melancholie des Herbstes geprägte Platte war.
Die Aufnahmen auf „Transcendcence“ fallen dagegen aber (nicht überraschend) wesentlich ruppiger aus und erinnern viel eher an das, was Chris und Cosey zuletzt mit Throbbing Gristle, zum Beispiel auf „The Third Mind Movements“ (bei dem Genesis keine große Rolle mehr zu spielen schien), bzw. bei X-TG gemacht hatten. Und Chris Carter erwähnt auch in einem Interview, dass einige der Rhtyhmen, die für den Auftritt verwendet wurden, ursprünglich für TG gedacht waren. Beim Auftritt in London stand Chris Carter vor seinem Mac und wurde von Cosey und Nik Void an den Gitarren flankiert. Der erste Track beginnt mit einem Beat, in den Gitarren und verzerrte Sounds einbrechen. Dabei verzichtet man noch auf Vocals, die setzen erst bearbeitet und verfremdet auf dem noch treibenderem zweiten Track ein, wobei das weniger ein Singen ist als ein Sprechen in Zungen, Echolalia. Im dritten Track meint man Wörter ausmachen zu können, bevor sie wieder verschwinden und Passagen lassen einen an Tracks von Demdike Stare denken.
Natürlich spielen Cosey wie auch Nik Void ihre Gitarren nicht im konventionellen Sinne, vielmehr entlocken sie ihnen weitere Geräusche, die sich im strukturierten Chaos verlieren. Wenn man sich diese Musik anhört, entsteht eine Art Soundtrack für ein urbanes wüstes Land, wobei das Album eine Art vitale Tristesse ausstrahlt und verstörend jenseits aller falscher Aggression oder plakativer Transgression ist, viel mehr transzendiert (man verzeihe mir das Wortspiel) das Album solche erschöpften Kategorien. Das ist (noch immer) in jederlei Hinsicht aufregende, in Unruhe versetzende Musik, die erstaunlich frisch klingt und die die Grenze zwischen von Menschen und Maschinen erzeugten Geräuschen verschwimmen lässt. Insofern ist das – um auf den Anfang zurückzukommen – ein Treffen der Generationen bar jeder Nostalgie – es sei denn, man findet es nostalgisch, wenn eine Zusammenarbeit zwischen Küntslern auf der Bühne und nicht via Internet stattfindet.
(M.G.)
Label: Mute