Das Duo Roma Amor ist in unseren Breiten noch nicht so richtig bekannt geworden, und trifft man einmal jemanden, der die Gruppe kennt, dann sieht man sich oft mit vorschnell produzierten Fehlinformationen konfrontiert. Euski und Michele kommen weder aus Rom, noch hat der Stil der beiden mit Neofolk im engeren Sinne zu tun. Die beiden stammen aus der Region Emilia-Romagna und singen gelegentlich im Dialekt ihres Landstriches. Die Musik, die sie spielen, ist eine italienische Ausprägung des klassischen Torch Song. Bisweilen auch lupenreiner Chanson.
Man könnte es sich leicht machen bei der Beschreibung ihrer Musik, denn die Songs sind gewollt einfach gestrickt, zumindest was ihre vordergründige Gestalt betrifft. Eine stimmungsvolle Quetschkommode und die klassische Zupfgitarre bilden das Hauptinstrumentarium, das nur an ausgewählten Stellen durch diverse Perkussions- oder Streichinstrumente bereichert wird. Auch Euskis Stimme ist stets eingängig, aber zugleich verweigert sich ihr Gesang jeder leichten Kategorisierung – ihr oft heißer klingendes Alt versprüht eine sanfte Wärme, und ist doch an vielen Stellen verraucht und herb, und schon deshalb passt ihre Musik, die die beiden in größeren Abständen auf die Bühne bringen, auch nicht an allzu gestylte Aufführungsorte. Roma Amor spielen eine Musik für leicht verwahrloste Kaschemmen, in denen der Staub auf den Gläsern und die vergilbten Porträts an den Wänden nur für unkreative Geister Obsoletheit offenbaren. Will das rote Licht, dass da aufblinkt, mich gerade vor der Retrokitsch-Falle warnen? Na dann soll es das mal, denn es gibt diese Fälle, bei denen das nicht stört und man nur „aber ja“ skandieren möchte.
Ihre Rückgriffe auf Vergangenes zeigen zugleich die Vielfalt dessen, was sich hinter Walzertakt und schlichter Melodie verbirgt: Italofolk der 60er, der große Jacques Brel und Musiker wie Émile Carrara. Auch die sogenannte Weltmusik von Ochtopus, Stilfremdes wie die Synthie Popper Japan und nicht zuletzt die autoerotischen Shanties des jungen Marc Almond. All dies sind Inspirationsquellen, zu denen die beiden sich offen bekennen, denn um eine spontane Coverversion als Konzertzugabe sind sie niemals verlegen. Dass bei ihren Shows gerne Ausschnitte aus Pupi Avatis „The House of the Laughing Windows“, dem wohl einzigen neorealistischen Giallo, gezeigt werden, symbolisiert ihren Platz zwischen allen Stühlen vielleicht am besten, und dass Michele mit seinen früheren Bands Dogs in Space und Homoplastik in der italienischen Punk- und Grindcoreszene unterwegs war, ist noch mal ein ganz anderes Kapitel.
Mit „Occhi Neri“ bringen die beiden gerade ihr drittes Studioalbum heraus – eine Sammlung von insgesamt zwölf Chansons in italienischer und französischer Sprache, die vom Instrumentarium her noch reduzierter wirken als die Songs auf dem letzten Longplayer „Femmina“ und alle eine Stimmung evozieren, die gekonnt die Balance zwischen derb und schmachtvoll aufrecht erhält. Der in Italienisch gesungene Titelsong erfüllt dieses Anliegen gleich perfekt, mit leidenschaftlicher Sehnsucht und nicht ohne eine desolate Note beizumischen besingt Euski die schwarzen Augen als (nicht vollends obskures) Objekt der Begierde, begleitet von sinnlich aufreizendem Kastagnettengeklapper. Micheles Gitarrenpicking ruft zu Beginn Erinnerungen an Charles Aznavours „La Mamma“ wach.
Es ist nicht das einzige Stück, das direkt aus den Sechzigern stammen könnte, auch das Nouvelle Vague-Feeling im schlicht “Mon Amour” betitelten Song versetzt den Hörer in das Paris einer interessanteren Zeit, als an der Saine das Kino, die Philosophie und einmal mehr der Chanson erneuert wurde. Gegen Ende wird das Stück immer ekstatischer und exaltierter, und dass hier ein berühmter Flame Pate gestanden haben könnte, erwähne ich nur am Rande. Der Märchenwalzer „Le Coeur Au Chaud“ präsentiert mit seinen traurigen Harmonien so etwas wie die Kehrseite dieser Euphorie und verweist (je nach Assoziation) vielleicht sogar auf eine noch ältere, vormoderne Zeit. Mein Französisch hat über die Jahre stark gelitten, aber ein heißes Herz, dass sich gerne mal mit einem Glas Bier abkühlt scheint in dem Text der anrührenden Ballade eine besondere Rolle zu spielen. Verbindendes Element ist stets das strömende Akkordeon, das immer wieder wie ein breiter Pinselstrich das Tableau durchzieht.
Im Unterschied zu Vorgängeralbum, das sich unterschiedlichen Frauenbildern im Italien des 20. Jh. widmete, bleibt „Occhi Neri“ thematisch offener. Das Liebesmotiv hält die Platte als vages Konzept zusammen, ebenso sehr die ungefähr gleiche Verteilung der beiden Sprachen. „A Te Che Mi Vinci“ und „Disertore“ erfassen die Liebe auf eine sehr italiensiche Art, leidenschaftlicher Freudentaumel im einen Stück wird im anderen durch einen etwas abgeklärteren (aber ebenso feierlichen) Ton geerdet. Ein ähnliches Kontrastbild auf Französisch erschaffen das getragene „Melancholie“ und das aufwühlende „Elle Est Seule“. Im letzten Drittel der Platte gibt es Momente, die das europäische Klangbild transzendieren und dezente Latinoelemente einbeziehen – was jedoch auf einen kulturellen Veredelungsvorgang referiert, der sich irgendwann in der zweiten Hälfte des 20. Jh. wie selbstverständlich vollzog – es ist die Passgenauigkeit, die einen Charles Aznavour und Astrud Gilberto in einem Atemzug nennen lässt, oder eben Paolo Conte und Astor Piezolla.
Freilich, Spötter hätten bei solcher Musik einmal mehr die heiß ersehnte Chance, ein Unkenkonzert anzustimmen – Retro, Vintage, Nostalgiepop, Eskapismus sind Begriffe, die es hageln könnte, wenn man vorschnellen Abtuern das Feld überlässt. Natürlich produziert die Retroindustrie viel musealen Schrott, der von Ideenarmut zeugt. Viele Künstler jedoch tragen auf kreative Art dazu bei, dass die Errungenschaften vergangener Musikströmungen nicht nur hinter Glas betrachtet werden müssen, sondern weiterleben und im besten Fall in ganz neue Bereiche führen. Neben großen Namen wie Little Annie und Marc Almond sollte im Buch des Torch Song, des Chanson und des dunklen Cabaret auch ein Platz für Roma Amor reserviert sein.
Label: OEC