WOLF EYES: No Answer – Lower Floors

Seit Wolf Eyes Ende der 90er – damals noch als Soloprojekt von Nate Young – debüttierten, war der Rezipient oft fassungslos ob der Flut der Veröffentlichungen – natürlich nicht nur, aber auch auf den Labels, die von jedem einzelnen Mitglied betrieben wurden (auf John Olsons American Tapes, auf Hanson Records des 2005 ausgestiegenen Aaron Dilloway, auf Gods of Tundra, das von Mike Connelly betrieben wird, der die Band vergangenes Jahr verließ und auf Youngs AA Records). Es hatte einerseits etwas Sympathisches, da der Arbeitsprozess sich so oft gut nachvollziehen ließ, gleichzeitig meinte man aber auch manchmal den Hauch des Beliebigen zu verspüren, da der Eindruck entstand, jeder Jam werde auf Tape/CD-R/Vinyl oder Lathe gebannt. Das war aber sicher nicht der Grund, warum die Rezeption in Deutschland nie so war wie z.B. in den USA. Man hatte den Eindruck, dass die Band von den einschlägigen Industrialmailordern wie auch (teils dadurch bedingt) vom typischen Industrialhörer ignoriert wurde, was vielleicht eher damit zu tun hatte, dass Wolf Eyes amerikanischem Hardcore sicher ebenso viel schuldeten wie Throbbing Gristle und ihre Auftritte etwas Vitaleres hatten als die der vor Bildern von Richard Ramirez et al posierenden „Klistierbeutelverherrlichern und Swastikanten“ (Tietchens). Vielleicht schrillte bei dem einen oder anderen durch die zwei auf Sub Pop veröffentlichten Alben „Burned Mind“ und „Human Animal“ auch der Hipsteralarm.

„No Answer-Lower Floors“ ist der erste reguläre Longplayer seit dem 2009 erschienenen Album „Always Wrong“ auf Hospital Productions und wurde von Young, Olson, dem Neuzugang Jim Balijo sowie den beiden Gästen Dilloway und Conelly eingespielt. Man sollte nun vielleicht nicht von Introspektion reden, aber auf dem auf De Stijl veröffentlichten neuen Album wird das Brachiale, Eruptive, das viele Tonträger der Band prägt(e), zurückgefahren. Der Opener „Choking Files“ beginnt mit monotoner Perkussion, in die fiese Störgeräusche, die ab und an an einen Zahnarztbohrer („Is it safe?“ möchte man fast rufen) denken lassen, einbrechen und Youngs Sprechgesang untermalen. „Born Liar“ ist musikalisch ähnlich, beginnt aber etwas rabiater. Auch hier wird das Stück durch die monotone Perkussion strukturiert. Bizarrerweise besteht das Titelstück lediglich aus zerhackter Stimme und einer Noisespur, die an TGs „IBM“ denken lässt – nach eineinhalb Minuten ist allerdings alles schon vorbei. Das melodischste Stück des Albums ist „Chattering Lead“, auf dem Youngs fast schon konventioneller Gesang von flächigen Klängen durchzogen wird, die dem Stück einen leichten Soundtrackcharakter geben. Der Höhepunkt des Albums ist das lange „Confession of the Informer“, das mit minimalem Bass beginnt, dann tauchen vereinzelte Geräusche auf, eine Stimme setzt ein, murmelt Unverständliches. Auf diese minimalistische, zwölfminütige, extrem unangenehme Klanglandschaft trifft die Bezeichnung „dystopische Musik“, die ich für Youngs “Regression”-Projekt gebraucht habe, ebenfalls mehr als zu. Das ist vielleicht eines der stärksten Stücke Geräuschmusik, die ich in den letzten Monaten gehört habe. Sucht man Referenzpunkte, dann könnte man sagen, dass das Stück klingt, als ob Olsens und Youngs (selbst so betiteltes) „Blues roots duo“ Stare Case TGs „Hamburger Lady“ covern würden. Das abschließende instrumentale „Warning Sign“ ist dagegen etwas atonaler und hat durch die Loopstruktur repetetiven Charakter.

Die insgesamt das Album charakterisierende Zurückhaltung, die Reduktion und Konzentration auf wenige Klangquellen, ist extrem effektiv und zeigt eine Band, die vielleicht auf den ersten Blick (alters)milder agiert als zuvor, auf den zweiten Blick aber die adäquate(re) Form gewählt hat, um den Hörer zu irritieren.

M.G.

Label: De Stijl