Es ist nicht leicht, etwas Allgemeines über Ain Soph zu sagen. Die Interessen und Ausdrucksweisen der römischen Band haben sich in den knapp drei Jahrzehnten seit ihrer Gründung zum Teil extrem gewandelt. Das gleiche lässt sich über die Stimmung ihrer Musik sagen, ähnliches über die Haltung des von einigen Umbesetzungen geprägten Kollektivs, die immer deutlich präsent ist, auch dann, wenn sie vordergründig vage und ungreifbar bleibt. Vergleicht man bestimmte Referenzen im Bandkosmos untereinander oder mit den Interessen der einzelnen Musiker in ihren anderen Aktivitäten, so lässt sich auch ein Fan sicher nicht von allem gleichermaßen anstecken, schätzt vielleicht auch nicht jeden Sampler, auf dem die Band vertreten war. Doch nur ein unbefugter Zaungast würde dahinter Beliebigkeit vermuten, aus Unempfänglichkeit gegenüber dem gleichbleibend starken Moment des Auratischen, das sich wie ein dunkelroter Faden durch das Oeuvre der Italiener zieht und auf kaum greifbare Weise Traditionales und Rock’n'Roll, Sakralität und urbanen Lifestyle zusammenhält. Dieses Moment ästhetisch oder inhaltlich zu definieren erscheint mir als hoffnungsloses Unterfangen und soll hier erst gar nicht versucht werden.
Ein besonderer Bruch stellte bekanntlich ihre zu Beginn der 90er vollzogene Hinwendung zum Songwriting dar, die sich mit dem Wandel Current 93s vergleichen lässt und eine inhaltliche Verschiebung von esoterischen zu weltlicheren Themen nach sich zog. Bei genauerem Hinsehen hat es allerdings viel häufigere Brüche gegeben, und die gerade über Trips und Träume als LP wiederveröffentlichte „Ars Regia“ markierte Mitte der 80er den Abschluss der rein rituellen Tape-Releases, auf die mit „Kshatriya“ und anderen Veröffentlichungen eine ebenso produktive Übergangszeit folgte, in der Ain Soph zwar noch keine reinen Songalben aufnahmen, aber schon wesentlich extravertierter klangen. Als Mitte der 90er auf dem Höhepunkt ihrer folkigen Phase Mastermind Crucifige aus persönlichen Gründen die Band verließ, ereignete sich ein weiterer Bruch, der Sound wandelte sich in Richtung Rock, die Lebenszeichen erfolgten in weit größeren Abständen und die verbleibenden Mitglieder widmeten sich verstärkt anderen Projekten. Doch nun zurück zum finsteren Frühwerk.
Es ist fraglich, ob man heute noch ein der Alchemie und verschiedenen mystisch/okkulten Traditionen verpflichtetes Album wie „Ars Regia“, dass die königliche Kunst schon im Namen trägt, herausbringen könnte, ohne dass es überkommen wirken oder auf Witch House-Spielereien hinauslaufen würde – in den 80ern, in denen man noch Zeit und Mühen investieren musste, um sich überhaupt einen Einblick in diese Themenwelt zu verschaffen und lange bevor selbsternannte Klassikfans das sakral Düstere für sich entdeckt und trivialisiert hatten, war ein Tape voll ungreifbarer, hintergründiger Dunkelheit wie dieses in all seiner klanglichen Reduziertheit radikal innovativ. Ist man im richtigen Modus für solche Musik, erkennt man in den einfachen Klängen eine große Opulenz. Verwehte Stimmen, die an Choräle erinnern, repetitive, verwischte Bläser- und Streicherklänge und nicht zuletzt gemurmelte Beschwörungsformeln erschaffen zusammen mit den anspielungsreichen Titeln eine Szenerie, in der trotz der beängstigenden Atmosphäre eine starke Erhabenheit erfahrbar wird. Auch wenn eine der Spoken Word-Passagen zeitweise in diabolisches Grunzen übergeht, bleibt die Stimmung doch ausgesprochen dezent und letztlich viel geheimnisvoller als jede plakative Effektversessenheit. Bezeichnenderweise entpuppten sich die Musiker nach dem Verlassen ihrer dunklen Nische auch nicht als Hochglanzgrufties, sondern als virile Psych Rocker mit Sinn für kräftige Farben und anarchischen Humor.
Dass die Musik – auch und gerade, wenn man sie lange nicht gehört hat – noch immer zu wirken weiß, spricht für ihren Ausnahmecharakter. Gehalt, Tiefe, Echtheit und all die abgegriffenen Wörter, die man kaum noch verwenden mag, sind doch angebrachter, als wenn man das Album auf Schnöseldeutsch als ein Stück Erinnerungskultur feiern würde, als bloses Dokument einer Zeit, als musikalische Regionen entdeckt wurden, die heute weitgehend ausgelaugt sind. Denn dafür steht es viel zu sehr für sich. Die Neuauflage erscheint in 200er Auflage, zusammen mit einer 52seitigen Sammlung zum Teil unveröffentlicher Essays, und findet hoffentlich nicht nur Gehör bei denen, die es bereits kennen. (U.S.)
Label: Trips und Träume