RLW & SRMEIXNER: Just Like A Flower When Winter Begins

Schlager – und in diesem Fall kann man/muss man natürlich über Geschmack streiten – sind ein Schlag ins Gesicht und man muss sich fragen, was schlimmer ist: die Geschmacksverirrten, denen es aber z. B. nicht peinlich ist, ihre Ergebenheit zu Michael Wendler, dem „König des Popschlagers“, in großen Lettern auf ihrem Auto zum Ausdruck zu bringen oder diejenigen, die entweder mit dem vermeintlichen Zaubertrick Ironisierung anderen weismachen wollen, Schlager würden von ihnen rein auf einer Metaebene goutiert oder aber hehre Gründe vorschieben (ähnlich dem einmal von Ralf König porträtierten Mann, der behauptet, sich Pornofilme aus rein soziologischer Motivation anzuschauen).

Stephen Meixner (Contrastate) und Ralf L. Wechowski (P16 D4), die sich auf diesem Album mit dem Schlager auseinadersetzen, kann man diesen Vorwurf nicht machen, denn in den sehr umfangreichen Linernotes, in denen man auch einiges zur Gensese des Projekts erfährt, wird klar, was ihre Haltung zu dieser Art von Musik ist: „Some weeks ago I did a horrible dj-set for a 75th birthday celebration, including Heino and other German schlager cruelties.“ (rlw) und Meixner, der als Kind mit seinen Großeltern in Deutschland Schlagerfestivals im Fernsehen sah, spricht zwar von einem Changieren zwischen dem tiefen Wunsch den Sender zu wechseln und einer Faszination ob „the bizarreness, absurdity and shittiness of it all“, sein Urteil aber lautet: „inane and dumb lyrics/music, inane jolliness”. Auf „Just Like a Flower When Winter Begins“ geht es allerdings weniger darum, zu zeigen, wie grauenhaft diese Musik ist, sondern es geht um den (altbekannten) alchemistischen Prozess aus Scheiße Gold zu machen. Insofern sollte man „Just Like A Flower When Winter Begins“ nicht als Album im herkömmlichen Sinne verstehen, vielmehr lässt es sich – wie die Künstler selbst schreiben – als „Hörstück“ verstehen.

Es gibt einige Instrumentalstücke: Bei „Gummidorf (simply happiness)“ handelt es sich um eine dichte Collage, die an die Stücke auf Nurse With Wounds Zusammenstellung „A Sucked Orange“ erinnert. „Gummidorf“ ist dagegen eher eine atmosphärische Klangfläche, bei der das Collagenhafte, das eine Reihe der anderen Tracks bestimmt, zurückgenommen wird, „Spaßbremse“ ein atmosphärisch dichtes Stück mit geisterhaft anmutenden Stimmfragmenten- wobei der Spaß noch größer ist, wenn man in den Linernotes etwas über das verwendete Klangmaterial erfährt.

Bei den textbasierten Stücken entsteht aus Schlagerdefinitionen ein babylonisches Stimmengewirr („Definition (Degustation)“,), eine Aufzählung von Schlagergrößen wird mit verfremdeten Stimmen und Soundfetzen ad absurdum geführt („Alle (Everyone)“) – in den Linernotes kann man dann auch lesen, dass es sich bei solch einer Aufzählung um ein „enzyklopädisches“, schllicht „unmögliches“ Unterfangen handele. Auf „Old Hearts Rejuvenated“ kann man kurz jemanden sagen hören, dass früher „die Welt noch in Ordnung war“. Dieses Stück ist laut Meixner als Hörspiel konzipiert – etwas, das man kurz vorm Einschlafen hört – immer vor dem Hintergrund der Be-Drohung: gleicht könnte ein Stück von dem „Mama“ singenden Jungen kommen. Und der Erfolg Heintjes macht sehr deutlich, wie wenig in Ordnung die Welt damals war.

„Just Like A Flower When Winter Begin“ funktioniert durchaus als hervorragendes Album origineller Geräuschmusik, bei dem es nicht unbedingt nötig ist, etwas über die Entstehung der Stücke oder das verwendete Klangmaterial zu wissen – ein großartiger Track wie „The Man with the Sunglasses“ beweist das – , allerdings fügen die sehr intelligenten Reflexionen der beiden Künstler dem ganzen eine weitere Ebene hinzu – etwas, das MP3s kaum leisten können. Dass es sich natürlich nicht um ein Album handelt, bei dem man wie bei einer Schlagerparade (oder einem „evangelical ‘happy clappy’ service“ – O-Ton Meixner) zombiehaft klatschen und stampfen kann, versteht sich von selbst.

M.G.

Label: Monotype Records