FATIMA AL QADIRI: Asiatisch

Unter Exotismus versteht der gebildete Europäer die romantisierende Verklärung fremder Kulturen. Ob es dabei um Abenteuer, Kitsch oder politische Utopien geht – die fremde Kultur selbst mit all ihren schwer verständlichen Eigenheiten bildet meist nur eine Leinwand, auf die Träumer ihre Ideen einer ansprechenderen Welt projizieren. Ihre Realität rückt dabei nicht wesentlich näher. Im allgemeinen Jargon ist Exotismus ein westliches Phänomen, ihr Objekt nie blond und protestantisch – im Grunde ist er der etwas nettere Zwilling des Kulturchauvinismus. Die Vorstellung, dass er kaum anderswo als in den westlichen Kernländern Thema sein kann, erscheint wie ein freundlicher, selbstkritischer Reflex, doch vielleicht ist dabei ja auch wieder nur ein Stück Exotismus am Werk?

Mit einer Spielart solcher Projektionen befasst sich derzeit eine junge Künstlerin, die erst vor einigen Jahren ihre Zelte in den urbanen Zentren des Westens aufgeschlagen hat. Fatima Al Qadiris Biografie begann im Senegal, formte sich in Kuwait, der Heimat ihrer Familie, und findet derzeit meist in London oder Brooklyn statt, wo die Dunstkreise von Labels wie Tri Angle und Hyperdub ihr Zuhause sind. Ihr Interesse an Klischees ist zur Zeit auf das moderne China fokussiert, das sie jedoch keinesfalls einfach zum Popidyll verklärt. Mit ihren Erfahrungen aus Literatur und Multimedia gibt sie sich den Projektionen hin, um sie zu erforschen. Das klingt zunächst einmal so, als dürfte es keinen Spaß machen, doch erforschen hat hier ebensoviel mit entlarven wie mit ausleben und genießen zu tun. Stereotypen müssen ja ihren Reiz haben, wenn sie sich so hartnäckig halten, und Qadiri ist keine Marlene Streeruwitz, die Groschenromane im Fischerverlag herausbringt und dabei so humorfrei ironisch ist, dass jedem Trottel klar ist, dass man das nun schlecht finden soll. Der spezielle Reiz des Popchina besteht darin, dass es sich gut in eine futuristsch stilisierte Kitsch- und Kunstwelt transformieren lässt.

Qadiris Stilmischung aus Grime, Leftfield und diversen anderen Bauformen aus Electro und Black Music, mit der sie in den letzten Jahren auf einigen Kleinveröffentlichungen debütierte, eignet sich hervoragend für die sowohl folkloristischen als auch technophilen Chinamotive. All dies erinnert an die vor Jahren v.a. in London gehypte Musik namens Sinogrime und wirkt in seiner weitgehend instrumentalen Gestalt wie der Soundtrack zu einem Animations-Roadmovie, dessen Schauplatz bestenfalls aus den Clubs, Malls und Kinos des großen Landes bestehen könnte.

Als unverzichtbar erweisen sich leicht cheesige Keyboardflächen und retortengezeugte Engelchöre, die in der satten wie glatten Produktion das Artifizielle unterstreichen und doch nie ins nur noch Ironische kippen. Die selbstverständliche Verwobenheit und Verschachteltheit von einheimischen und (imaginiert) fremden Versatzstücken, die bereits im deutschsprachigen Titel anklingt, zeigt sich schon im Intro, denn der chinesische Text, den Gastsängerin Helen Feng (Nova Heart) über die simple Synthiefläche legt, erweist sich als Mandarin-Version von Sinead O’Connors „Nothing Compares To You“. Das ambiente Grundfeeling, das die Künstlerin bereits zur Beschreibung „Musik für China Restaurants“ verleitete, setzt sich auch in den rhythmischeren Stücken fort, die neben den cineastichen Asssoziationen eines modernen, mal weichgezeichneten, mal cartoonig animierten Märchens immer auch Musik zum Wegdriften sind. Imitierte Saitenklänge, wie man sie aus Filmen kennt, wehmütige Melodien, die hier und da – in meiner Fantasie? – auch Vorderasiatisches anklingen lassen, Sprchsamples, die gelegentlich auf lustige „Chingchangchong“-Passagen zurechtgeschnitten sind, bilden einen reichhaltigen Ornat, der auf knapp vierzig Minuten Spiellänge kein Außen der Kunstwelt zulässt.

Interessant ist zum einen eine regressive Note, die gerade deshalb so deutlich zum Zuge kommt, weil es hier allen Folkmissverstehern zum Trotz gerade nicht traditionell zugeht, sondern ein modernes, von Fernsehen, Bonbons und Spielkonsolen geprägtes Szenario entworfen wird. Zum anderen die Konsequenz, in der „Asiatisch“ weder nur ironisch-kritisch ausfällt, noch allem Anspruch zum Trotz selbst in die Falle des süßlichen Scheins gerät, und als Soundtrack würde die Musik ebenso gut in einem Film mit und ohne Meta-Konzept funktionieren. China selbst fällt erwartungsgemäß aus, aber vielleicht hatte Anemone Tube in seiner dunklen Prophezeihung ja recht. (U.S.)

Label: Hyperdub