ANEMONE TUBE: Death Over China

In einem Land, in dem Turbokapitalismus sich mit einem autoritären Regime paart, sind die Konsequenzen für die Umwelt katastrophal und weithin dokumentiert. Verglichen mit dem in einer Reihe von chinesischen Städten zu atmenden Miasma, das Atemluft zu nennen ein Hohn wäre, mutet Manchester zur Zeit der industriellen Revolution wie ein Luftkurort an.

Der zweite Teil der so genannten „Suicide Series“ des deutschen Projektes ANEMONE TUBE – der Titel bezieht sich auf das selbstzerstörerische Verhalten der Gesellschaft, in dem sich ein „geheimer Todeswunsch“ zeige -, dessen erster Teil auch auf diesen Seiten besprochen wurde, konzentriert sich auf das Land der Mitte, dessen Facetten im Innern der großformatigen Verpackung durch eine Reihe von teils kontrastierenden Bildern illustriert werden: Buddhastatuen, jedoch auch Baukräne, Wälder, aber auch eine Häuserfront voll Werbung für westliche global player, (überraschenderweise) den von den Sirenen bedrängten Odysseus und schließlich drei Bilder, die die letzte öffentliche Ausübung der so genannten Leng Tch’e-Folter dokumentieren und die einen nicht unerheblichen Einfluss auf Batailles Vorstellung des Ekstatischen hatten (und von denen das berühmteste Foto einige vielleicht vor einigen Jahren im Kino in der Apotheose (und der Überschreitung wie auch dem Endpunkt?) des zeitgenössichen “Terrorkinos” (Stiglegger) Martyrs sehen konnten).

Dabei bestehen die Stücke – bis auf zwei Ausnahmen – lediglich aus Feldaufnahmen, die der Musiker 2007 in Shanghai und Nanjing gemacht hat. Gleich der Opener „Black Death Rise“ mit seinem Chaos aus Stimmengewirr, Verkehrsgeräuschen und einem auf-und abschwellenden Dröhnen illustriert das geordnete Chaos der die Straßen dieser Städte bevölkernden Menschenmassen sehr gut. Auf „I Shall Forever Invoke“ wird das Wirrwarr durch eine im Hintergrund spielende nur zu erahnende Klangfläche ergänzt: Stimmen rufen, schreien, rezitieren inmitten des Durcheinanders. Auf „Prayer Walk“ werden die Feldaufnahmen durch am Synthesizer erzeugte analoge Noisekaskaden ergänzt, wodurch sich das Stück (bedingt) Power Electronics annähert (aber besser ist). Bei „Brooding Haze“ glaubt man sich in einer Fabrikhalle, man hört erneut Stimmen(gewirr), Presslufthämmer (?). Verglichen mit diesen Stücken mutet „The Announcement (Death Over China)“ ruhiger, weniger hektisch, fast schon meditativ an. „The Desecration from Within“ beginnt mit einem Sprachsample aus Nausicaä of the Valley of the Wind, bevor inmitten des Lärms die Stimme des Musikers auftaucht, die vielleicht das künstlerische Programm, die Intention dieser Veröffentlichung verbalisiert: „I am the mirror of your disguise/the desecration from within/I am…your decay“. Durch die recht dominante Stimme knüpft dieses Stück vielleicht noch am ehesten an traditionelle PE-Projekte an (leichte ANENZEPHALIA-Einflüsse hatte ich schon auf dem Vorgängeralbum ausgemacht), aber wie auch schon auf „Prayer Walk“ ist die musikalische Umsetzung wesentlich gelungener, weniger vorhersehbar und an keiner Stelle epigonal. Das wie schon der Vorgänger von James Plotkin top gemasterte Album ist unbequem, im besten Sinne des Wortes, es hat (zum Glück) wenig Unterhaltungswert, was es auch wahrscheinlich nicht haben soll. Oftmals sind noch so vermeintlich atonale Alben durch Rhythmus oder vorhersehbares Instrumentarium und wenig überraschende Topoi weitaus weniger störend und transgressiv als das die jeweiligen Künstler (und Fans) wahrhaben wollen, auf „Death Over China“ beeindruckt jedoch wie fast ausschließlich aus der Montage der Feldaufnahmen dichte und differenzierte Klangwälle geschaffen werden, die ein unangenehmes Gefühl hinterlassen (auch dann, wenn man nichts über das Konzept weiß). Die Stimmung, die das gesamte Album durchzieht, wird in angemessener Weise durch das (hier allerdings in der englischen Übersetzung abgedruckte) Zitat aus Dürrenmatts Die Physiker illustriert: „Eine Geschichte ist dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmste Wendung genommen hat.“

(M.G.)