Für Menschen mit westlicher Allgemeinbildung ist Iran ein äußerst schwer zu interpretierendes Land. Viele sehen in der multiethnischen Republik eine autoritäre Theokratie mit halbdemokratischen Zügen, einen Staat, in dem finstere Gremien die Fäden ziehen und gerade in der Zeit nach der Revolution etliche Greueltaten zu verantworten hatten. Andere wiederum betrachten den zwischen Zentralasien und der arabischen Halbinsel gelegenen Staat als ein Land mit einer reichhaltigen Kultur, in dem sich allen Repressionen zum Trotz eine ernstzunehmende und v.a. wachsende Zivilgesellschaft herausgebildet hat, und weisen zugleich auf seinen Charakter als Projektionsfläche westlicher Obsessionen hin. Dass beides stimmt, bedeutet nicht, dass man sich bei dem Thema neutral positionieren muss, doch man sollte seine Ansichten sorgfältig fundieren, sollte die kulturellen und sozialen Unterschiede zu anderen, oft weitaus instabileren Länder der Region kennen und konstruktive Kritik von solcher unterscheiden können, die bloß anderen Ideologien das Wort redet.
Unterhält man sich mit Iranern oder iranischstämmigen Menschen, wird schnell klar, wie komplex die oftmals einseitig geführten Debatten zu dem Thema eigentlich sind. Establishment und Opposition bilden keine monolitischen Blöcke, nicht jeder Ruf nach mehr Freiheit ist pro-westlich und nicht jeder gläubige iranische Moslem ist für “das Regime”. Dass die recht entspannte Situation iranischer Juden neben der eher entmutigenden Situation der Baha’i steht, dass eine recht hohe Zahl an Studentinnen und Akademikerinnen rigiden Kleidungsvorschriften für Frauen gegenübersteht, macht das Thema nicht einfacher.
All dies sollte man auch im Hinterkopf behalten, um den Sampler „Iranian Woman“ zu beurteilen, eine Sammlung traditioneller Lieder mit weiblichem Gesang, den die norwegisch-afghanische Künstlerin und Menschenrechtsaktivistin Deeyah Khan vor ein paar Monaten zusammengestellt hat. Nachdem die Kuratorin unter dem Titel “Nordic Woman” zunächst ihre neue Heimat musikethnologisch erkundete, richtete sie ihren Blick bald wieder in Richtung der muslimischen Welt und widmete das Folgeprojekt dem Kampf iranischer Frauen um persönliche Rechte und künstlerische Selbstbestimmung. Schon die optische Gestaltung der CD schlägt einen Bogen zurück in archaische Zeiten, im Booklet berichtet sie ferner von einer dreitausendjährigen Geschichte „weiblicher“ Musik in der Region, die sich aus den unterschiedlichsten kulturellen und religiösen Grundlagen speist, und derzeit starken Repressionen durch das religiös konservative Establishment unterliegt. Viele der vertretenen Musikerinnen leben dann auch in der internationalen Diaspora.
Ich bin kein Kenner der iranischen oder überhaupt der vorderasiatischen Musik, bei der die Grenze zwischen Hoch- und Volkskultur, zwischen höfischer Kunstmusik und den zahlreichen populären Formen gänzlich anders gezogen werden muss als in der westlichen Tradition, so dass auch der Begriff der Folklore, der sich hier fraglos anbietet, als Produkt der Weltmusik-Industrie infrage gestellt werden sollte. Die hier vertretene Musik kommt dem Bedürfnis nach einer geheimnisvollen und zugleich eingängigen orientalischen Exotik jedoch stark nach. Mit anderen Worten: Bei der gelungenen Gratwanderung aus Urtümlichkeit und Schöngeisterei blieb nur wenig Platz für wirklich Raues und Ungeschliffenes, so dass die Compilation sicher auch den Geschmack der Leser hochglänzender Jazz- und Folkmagazine treffen muss. Was sich beinahe konsequent durch die Stunde Musik zieht, ist ein sehnsuchtsvoll melancholischer Grundton, der das Gleichgewicht zwischen Herbheit und Eleganz in einer Weise aufrecht erhält, wie es im Okzident nur in Ausnahmen gelingt.
In diesem klanglich-atmosphärischen Modus lassen die Schwestern Mahsa und Marjan Vahdat in ihren beiden Stücken Klagegesänge über dem wabernden Teppich verwehter Blattblasinstrumente erklingen, Parissa singt fast a capella, erst bei genauerem Hinhören erkennt man im Hintergrund den Klang tiefer Oud-Saiten. Die vielleicht prominenteste weil von zahlreichen Filmmusiken (leider auch zum eher unfreiwillig komischen Propaganda-Quark “300″) her bekannte Azam Ali verzichtet hier vollends auf Elektronik und klingt schon deshalb traditionelller denn je, wohingegen der versponnene Gesang Rahas mit der fragilen Instrumentierung europäische Ohren an Fádo erinnern mag. Nur für Momente gerät die Musik etwas rhythmischer – etwa in den aufwühlenden Songs von Mamak Khadem und Sepideh Raissadat, deren von Handtrommeln begleitete Tremoli zu den Höhepunkten des Samplers zählen. Interessant ist auch die gelegentliche Nähe zur Musik des indischen Subkontinents, und sei es nur im Klang der Saiten bei Fariba, Yasna u.a. Schon sprachlich sind sich die beiden Regionen ja sehr nah, und die Geschichtsbücher lehren uns, dass zur Zeit der perischen Safawiden und der indischen Moguln, zeitgleich zum europäischen Barock, ein reger Kulturaustausch zwischen beiden Völkern vonstatten ging.
Als Konzept ist „Iranian Woman“ nicht leicht zu beurteilen. Die Beiträge geben einen guten Einblick in verschiedene Spielarten iranischer Musik und verdeutlichen, dass es da – etwas pathetisch gesagt – eine weibliche Stimme gibt, die darum ringt, Gehör zu finden, an welchem Ort der Welt auch immer. Vielleicht ist die Sammlung aus diesem Grund sehr auf westliche Bedürfnisse nach Exotik zugeschnitten, was gestandene Orientalismuskritiker in der Nachfolge Edward Saids dazu bringen könnte, nach kritischer Theorieart die Nase zu rümpfen. Dem steht jedoch entgegen, dass viele der Beiträge schlicht wunderschön sind. Jeder Dead Can Dance-Fan übrigens, der hieran keinen Gefallen findet, ist ein hoffnungsloser Gruftie und sollte besser mit Arcana vorlieb nehmen. (U.S.)
Label: Heilo