„What is it about dealers in rare books and manuscripts? One would have to go a long way to meet one who was not a little strange“.
Reggie Oliver, „The Mortlake Manuscript“
Flavian Bennett, der Ich-Erzähler der Novelle The Dark Return of Time, der im von seinem Vater betriebenen englischen Buchladen Bennett’s British Bookshop in Paris arbeitet, ist ein Versehrter, wie der Leser nach und nach erfährt: Seine Freundin Corinna kam bei einem von der Mutter des Erzählers unabsichtlich verursachten Unfall ums Leben und Flavian versucht in der Stadt an der Seine seine Vergangenheit hinter sich zu lassen.
Die eigentlichen Geschehnisse werden in Gang gesetzt, als der Erzähler eines Tages eine recht rabiate Entführung eines Manns und einer Frau beobachtet – später wird man die von Folterspuren gezeichneten Leichen aus der Seine ziehen-, die außer ihm lediglich zwei für den weiteren Verlauf der Geschichte zentrale Charaktere sehen („The whole of Paris seemed not to have just been unaware of what happened, but had turned its back on it.“). Seine Unfähigkeit eine genaue Beschreibung der Täter und des Tatfahrzeugs zu geben und das Unverständnis und Desinteresse der ermittelnden Beamten lassen ihn spüren, dass er in Paris letztlich ein Fremder ist: „I had always felt that Paris was a friendly city, but now it seemed quite hostile. Although I had thought that I was a part of it, I was being reminded that I was a foreigner.“ Später bemerkt er: „Although I had learned to drive in London, Paris traffic always seemed more aggressive.“
Einer der zwei anderen Personen, die die Entführung gesehen haben, der mysteriöse, wohlhabende Reginald Hopper, kommt kurz darauf als Kunde in den Buchladen. Seine sehr britische, fast dandyhafte Art sich zu kleiden, stößt Flavian ab: „The man annoyed me because he was reinforcing a stereotype.“, äußert er seinem Vater gegenüber und auch Hoppers Buchgeschmack lässt Flavian die Nase rümpfen. Kurz nach der Begegnung mit Hopper kommt die Flavian vielleicht nicht zufällig an seine verstorbene Freundin Corinna erinnernde Candy in den Laden, die sich ebenfalls in der Nähe der Entführung aufgehalten hat. Der Leser erfährt schnell, welch unheilvolle Verbindung zwischen ihr und Hopper besteht: Sie hatte in England versucht, Hopper zu töten, da sie ihn für den Mörder ihres Vaters hält. Bei ihrer Attacke wurde Hopper so schwer verletzt, dass er sich seitdem nicht mehr an sein früheres (kriminelles?) Leben erinnern kann.
Hopper, der es sich zum Ziel gesetzt hat, „the perfect librarary“ zusammenzustellen und dafür die Hilfe von Flavian benötigt, ist auf der Suche nach dem der Novelle den Titel gebenden The Dark Return of Time, einem Buch, das weder im Katalog der British Library noch dem der Library of Congress oder der Bibliotheque Nationale auftaucht, das dann aber kurioserweise (Koinzidenzen sind zahlreich und an einer Stelle denkt Flavian selbstreflexiv: „I had felt once before as though I had stumbled into a children’s adventure story, and it now appeared to have restarted“) kurz darauf bei einer Auktion auftaucht, bezeichnenderweise in einer Kiste mit Büchern zum Thema „crime“. Hopper glaubt, dass das Buch eventuell von ihm handeln könne: „It appears to be about somebody I might have been, once, in a previous life.“ Vielleicht ist das Buch aber auch etwas ganz anderes, wie Flavian später mit Schrecken feststellen muss.
Der insgesamt zurückhaltend erzählte Roman weist insbesondere gegen Ende Thrillerelemente auf. Die letzten Seiten sind eine tour de force mit Verfolgungsjagden, Fluchten und die zahlreichen twists and turns erinnern mich an das Ende von Terry Gilliams brillianter Dystopie Brazil.
Aber letztlich ist The Dark Return of Time (auch) ein Buch über das Erinnern und Vergessen. „[Y]ou don’t miss what you don’t remember“, äußert Hopper an einer Stelle und gegen Ende stellt sich für den Ich-Erzähler ebenfalls die Frage nach der Zuverlässigkeit von Gedanken: Was ist Erinnerung, was Verdrängung, was Re-Konstruktion? Und natürlich ist das ebenfalls ganz unvermeidlich ein Buch über (die Liebe zu) Bücher(n), etwa, wenn der Protagonist seinem Vater gegenüber sagt: „[O]ur lives are reflected in the books we have around us. They’re the record of who we are, where we’ve been and what we’ve achieved.“ oder aber wenn er Hopper die Bedeutung von Erstausgaben klarzumachen versucht: „It’s the thrill of finding a book exactly as the author and the public first saw it. It’s how the publisher first issued it, after reading and liking the manuscript, probably with no idea whether it would be any kind of success.“ Das sind Einstellungen, mit denen der Autor, der zusammen mit seiner Lebensgefährtin Rosalie Parker -der auch die Novelle gewidmet ist- den kleinen, auf unheimliche Literatur spezialisierten Verlag Tartatus Press betreibt, mehr als vertraut sein dürften. In einem jüngst publizierten Interview sagt er dann auch: „The best bookshops are a haven of calm and civilisation, where a customer can relax and find that time ceases to behave properly “
Dass es nun Pläne gibt, den Text zu verfilmen, sollte nicht überraschen, denn The Dark Return of Time hat durchaus filmische Qualitäten und ist im besten Sinne des Wortes eine Novelle, wenn man die vielleicht berühmteste Definition, dass sie eine sich ereignete „unerhörte Begebenheit“ thematisiert, zu Grunde legt.
(M.G.)
Verlag: Swan River Press