Humor fand sich schon immer im Werk des Hamburgers, Titelgebung auf den frühesten Platten (etwa hier) zeugten von einer Haltung, der das Karnevaleske abging, die aber (vielleicht gerade deswegen) in besonderem Maße noch immer funktioniert und auch seine (hier gesammelten) Paralipomena mit Titeln wie „Das Scheitern als eine der schönen Künste betrachtet“ sollten in diesem Kontext nicht unerwähnt bleiben.
Tietchens schreibt in dem Text „Mehr oder weniger stochastisch oder Überraschungen beim Herstellen Elektro-akustischer Musik“: „Weder plane ich eine Komposition bis zur letzten Millisekunde durch, noch gebe ich mich mit ungewissem Ausgang zufrieden, sondern bewege mich innerhalb von mir streng definierter Parameter.“ Wenn man all das betrachtet, dann mag es nur schlüssig sein, wenn auf dem neuen Album vier „Humoresken“ neben vier „Vektoren“ zu finden sind, die auf dem Album selbst allerdings noch von insgesamt acht Tracks getrennt sind, die “Tristia“ heißen. Man erfährt, dass das Ausgangsmaterial aus Stücken besteht, die ursprünglich auf Einladung von Francisco Lopez entstanden sind: Es wurden dreizehn jeweils zweiminütige Kompositionen für das spanische Label Störung aufgenommen. Aus diesem 2010 komponierten Material wurden insgesamt acht neue Stücke (die „Humoresken“ und „Vektoren“), die aber nichts mehr mit dem Ausgangsmaterial zu tun hätten. Das reicht an Info, man denke an Tietchens’ in „Der Böttger-Effekt“, seinen Überlegungen zum „Mythos ‘Basismaterial’“, aufgestellte Forderung, dass „gut gearbeitete Geräuschmusik, egal welchen Genres, nicht mir törichtem Randwerk künstlich“ aufgewertet werden solle. Tietchens selbst schreibt über das Album (und hier ist man wieder beim Humor angekommen): „Im 19. Jahrhundert wurden ohne Ende Humoresken komponiert. Ich habe nie begriffen, was an diesen Stücken lustig sein sollte. Im 20. Jahrhundert gab es eh nichts mehr zu lachen, also wurden auch keine Humoresken mehr komponiert. Das 21. Jahrhundert scheint zum Schreien komisch zu werden, also habe ich vier Humoresken komponiert.“ Später dann überlegend, ob vielleicht die vermeintlich traurigen Stücke nicht die eigentlichen Humoresken seien.
Beim Betrachten des Covers fällt auf, dass das Abstrakte, Strenge, das insgesamt die späteren Alben (und die Wiederveröffentlichungen) prägte, etwas Konkreterem (einer kleinen Bühne) gewichen ist und auch das eigentlich obligatorische Cioran-Zitat fehlt. Stattdessen liest man die simple Aufforderung: „Gib mir das Geräusch!“. Und Geräusche gibt es natürlich zuhauf, wobei sich die Stücke musikalisch erheblich unterscheiden; grob gesagt sind die alle um die vier Minuten langen Humoresken recht hektisch: „Humoreske 3“ klingt z.B. so, als laufe eine Maus über ein Cello und auch die anderen drei verströmen eine gewisse Unruhe. Den „Vektoren“ geht dieses ab, sie klingen verspielter und zurückhaltender. Die „Tristia“-Kompositionen sind dagegen flächiger, getragener, sphärischer (wenn das dann überhaupt Begriffe sind, die auf das Werk von Titechens passen.(können)) und sind meines Erachtens musikalisch näher an den „Vektoren“ als an den “Humoresken”. Mit „Tristia 8“ endet das – wie üblich von Okko Bekker produzierte – Album. Wird es also tatsächlich im 21. Jahrhundert so viel zu lachen geben? (M.G.)
Label. Auf Abwegen