Oberflächlich betrachtet kann man Will Oldhams Werdegang als eine Entwicklung vom minimal instrumentierten Lofi-Dilettantismus hin zu einem opulenten und virtuosen Bandsound interpretieren – um dann vielleicht noch die Einschränkung hinzuzufügen, dass sich diese Entwicklung nicht vollkommen linear vollzieht. In Wirklichkeit sind die beiden Gestaltungsweisen seiner Musik, der Purismus und das virtuose Zusammenspiel mit anderen professionellen Musikern, so stark ineinander verzahnt, dass es bei genauerem Hinsehen problematisch ist, sie einfach auf unterschiedliche Werkphasen zu verteilen. Sein erst vor ein paar Monaten im Eigenverlag erschienenes unbetiteltes Album war mehr als ein bloser Beleg dafür, dass Bonnie, wenn er will, immer noch wie Palace Brothers klingen kann. Es machte auf irritierende Art klar, dass dieser obskure, eigenbrötlerische Oldham immer noch der eigentliche ist, denn es setzte musikalische und emotionale Aspekte ins Zentrum, die auch unter der Oberfläche der elaborierteren Alben der letzten Jahre durchgehend zu finden sind. Dass es wohl auf alle Zeit dasjenige Album sein wird, dass kaum jemand kennt, ist Teil der künstlerischen Aussage.
Weniger radikal, war auch schon sein 2011er Album “Wolfroy Goes To Town” ein Versuch, seine Erfahrung als Songwriter und Kollaborateur mit dem DIY-Anspruch der frühen Jahre zu verbinden, im Vergleich zu anderen Aufnahmen aus der Zeit wirkte es weniger wie ein Wink zurück, sondern wie ein missing link zwischen einst und jetzt, der eines deutlich machte: Im Zentrum von Oldhams Musik steht kein bestimmtes Band- oder Soundkonzept sondern die stets neu ins Werk gesetzte spirituelle Suche des lyrischen ich. In dem bald erscheinenden Remake “Singer’s Grave A Sea Of Tongues” exerzieren Oldham und ein üppiges Ensemble erstmals die Frage nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen beiden Herangehensweisen am lebenden Objekt durch.
Dass der Begriff Remake auch Arbeiten bezeichnen kann, die nicht sklavisch am Original kleben, belegt schon die Filmgeschichte (wo es freilich auch Gus Van Sants transferfreie „Psycho“-Version im 90er-Jahre-Gewand gibt), und so sind „Wolfroy“ und „Singer’s Grave“ durchaus verschiedene Alben, bei denen die Reihenfolge der neuinterpretierten Stücke fast konsequent nach links gedreht wurde, und die Trackliste sich auch nicht deckt – einige Stücke des Originals wurden weggelassen, neue kamen hinzu. Interessant und löblich ist Oldhams Entscheidung, nicht auf pralle Kontraste zu setzen, sondern den in Tempo und Fülle veränderten Songs ihre luftigen Stellen zu lassen. „Night Noises“ gerät mit der Slide Guitar von Paul Niehaus zu einem idealen Song für einen entspannten Roadmovie, dessen friedvolle Atmosphäre jedoch merklich trügt. Ob das nur am Titel liegt, an einigen Keywords im Text? Vielleicht ist es auch einmal mehr Oldhams brüchig-fragile Stimme, die im Kontext der sauberen Produktion verdeutlicht, wie wenig „designbar“ sie ist, wie sehr sie immer ein kollagenhaft eingefügtes Element sein muss, sobald musikalische Elemente, die über Oldham selbst hinausgehen, den Rahmen bilden.
Es gibt Songs, bei denen das prizipiell etwas aufgewecktere Klangbild den mystischen Grundtenor etwas herunterschraubt, doch man muss dazu sagen, dass das für Oldhamverhältnisse gilt, und bei dem leicht beschwingten „So Far and here we are“ weiß die Band das mit forschen E-Gitarren auszugleichen. Während neue Stücke wie die revueartige Gospelnummer „Mindlessness“ einem netten Bonus gleichkommen, beliben die Höhepunkte des Originals auch die des Remakes – der bitterdirekte Banjofolk in „We are unhappy“ hat nichts von seiner brüchigkeit verloren, an keiner Stelle wirkt Oldmans Gesang improvisierter und ehrlicher als hier, und „Quails and Dumplings“ mit seinen chansonartigen Versenden ist nicht weniger nachtlichtern als seine urspüngliche Version. Werden wir einst für unser Leiden entlohnt, fragt der Sänger? Dass es bei der Frage bleibt, mag ein wesentlicher Antrieb in Oldhams unermüdlichen Schaffen sein.
Dass ich eher die noch am wenigsten fülligen Stücke hervorhebe, lässt anklingen, dass mir der einsam improvisierende Oldham nach wie vor der Liebere ist. Genau dem lässt „Singer’s Grave“ jedoch genug Raum, und Produzent Mark Nevers (Lambchop, Silver Jews) gebührt eine Hervorhebung für den dezenten Feinschliff. Ich möchte mich nicht mit der Frage aufhalten, wie sinnvoll oder verzichtbar eine solche Überarbeitung sein mag – Oldham ist nicht gerade als Ramschproduzent bekannt, und niemand muss alle Veröffentlichungen eines Künstlers besitzen. Neueinsteigern empfehle ich für den Anfang eher das Remake, von dem man sich anschließend in die Tiefe des noch ungeschliffeneren Originals hineinwagen kann.
Label: Domino