Es gibt Alben, die solch einen Aura umgibt, dass der eigentliche Gehalt nur noch eine untergeordnete Rolle spielt und Lou Reeds Protoindustrialalbum „Metal Machine Music“ ist da sicher ein gutes Beispiel für. Dabei gehen die (Be-)Wertungen weit auseinander. Auf der Lou Reed-Gedächtnisseite schreibt John Zorn: „Let’s not forget that Lou Reed was the man who made Metal Machine Music.“ Coil nannten damals, als sie ihr vielleicht krachigstes Album „Constant Shallowness Leads to Evil“ veröffentlichten, „Metal Machine Music“ als Referenzpunkt.
Dabei stellte sich auch schon immer die Frage: Ist das vielleicht lediglich ein Fuck you! an die Adresse der Plattenfirma (gewesen)? Oder wie es noch jüngst im Special Interests-Forum hieß: „Lou Reed’s Metal Machine Music – genius work or complete trash?” Dabei hat Reed sicher zumindest partiell zu dieser Ambivalenz beigetragen, sagte er doch vor einigen Jahrzehnten über das Album: „No one I know has listened to it all the way through including myself. It is not meant to be“ – damit natürlich mit dem Nimbus der Unhörbarkeit, des Unerhörten spielend. Als es dann Jahre später um die zeitkratzer-Interpretationen ging, wählte er in einem Interview durchaus andere Worte: „The truth is that I really, really, really loved it. I was in a position where I could have it come out. I just didn’t want it to come out and have the audience think it was more rock songs. […] I honestly thought ‘Boy, people who like guitar feedback are gonna go crazy for this. Count me among them. If you like loud guitars, here we are.’“
Im Booklet schreibt zeikratzers Reinhold Friedl: „When I first came to know Metal Machine Music I was blown away.“ Und nachdem er über die Genese des Projekts dieses Album aus Gitarrenfeedback in Noten zu fassen, berichtet hat, schreibt er, dass er beim erneuten Spielen des Albums auf dem „worldtronic“-Festival in Berlin im Jahre 2013 zu der Einsicht gekommen sei, dass „Metal Machine Music“ so etwas wie „worldtronics“ geworden, Reed eben nicht nur Rock ‘n’ Roll, sondern ein echter Komponist gewesen sei.
Ursprünglich wurden zeitkratzers Interpretationen vor einigen Jahren in einer CD/DVD-Kombi veröffentlicht, auf der aktuellen Veröffentlichung bekommt man nun erstmals die gesamten Aufnahmen zu hören: Analog zu Reeds Originalalbum vier Stücke von jeweils 16 Minuten. Die von zeitkratzer in neunköpfiger Besetzung (Klarinetten, Trompete, Posaune, Klavier, Streichgitarre, Perkussion, Geige, Bassgeige, Kontrabass) eingespielten Aufnahmen, sind (im besten Wortsinne) hörbarer als Reeds Album. Wie da plötzlich inmitten der dichten Klänge Blasinstrumente zu hören, zu erkennen sind, wie unter dem Dröhnen eine Unruhe herrscht, Geigen hochfrequent tönen, dann wieder plötzlich ein Klavier auftaucht, das ist eine ziemlich intensve Hörerfahrung. Ob die Tatsache, dass zeitkratzers Version den Hörer doch eher zum Verweilen auffordert als Reeds Album, nun ein Rückschritt oder letztlich vielleicht doch radikaler ist, sei dahingestellt. (M.G.)
Label: zeitkratzer records/Karlrecords