Als Zeitkratzer vor einigen Jahren erstmals ihre Interpretationen von Whitehousematerial unter dem Titel „Whitehouse Electronics“ veröffentlichten, da konzentrierte man sich auf Stücke aus der Spätphase der Band und verglichen mit früh(er)em Output enthielten diese Stücke in einen etwas größerem Maße konventionelle Strukturen – wenn man die teils vertrackten Rhythmen, die schon teilweise das Nachfolgeprojekt Cut Hands ankündigten, mit solch einem Attribut belegen will (insofern zeugte diese Rezension von ziemlicher Unkenntnis).
Auf dem neuen Album werden nun Stücke aus sehr unterschiedlichen Schaffensperioden der Band interpretiert. „Daddo“, von „Mummy and Daddy“ (dem Album, das die Spätphase der Band wenn schon nicht einläutete, dann doch ankündigte), war ursprünglich ein verhalltes, von Hochtönen durchzogenes Monster, auf dem die Mischung aus runtergepitchten Vocals und entmenschlichten Schreien das Stück zu wahrlich uneasy listening machten. Auf dem live auf dem „Musique Action“-Festival in Nancy aufgenommenen Album tritt Bennett als Gast auf, rezitiert den Text (scheinbar) zurückhaltender, konventioneller, während die Geigen unruhig fiepen und sich das Stück im Verlauf der 12 Minuten zu einem extrem unangenehmen Track verdichtet (was die Blasinstrumente ab der Hälfte des Stücks machen, ist furchteinflößend). Reinhold Friedl schreibt in den Linernotes von den verzerrten Stimmen als „versteckte[m] Thema“ dieses Albums, wobei sie die Verzerrung dadurch erreicht hätten, Stimme(n) durch eine Posaune und andere Blasinstrumente zu jagen.
Das über 30 Jahre alte „Foreplay“ war ursprüpnglich auf dem „Ultrasadism“-Tape zu finden und wurde später mit auf die Wiederveröffentlichung von „Total Sex“ gepackt, stammt also aus einer Phase der Band, als man zum White Noise aus dem Wasp Synthesizer, fiesen Hochtönen und Wassergeblubber irrsinnig kreischte (auf der „special edition” von „Great White Death“ wurde eine Rezension abgedruckt, in der die Musik als „40 minutes of a baboon playing with an amplified generator“ beschrieben wurde) und auch Zeitkratzer nähern sich dem an. Wie das mit rein akustischem Instrumentarium gelingt, ist kaum zu glauben. Zeitkratzers Interpretation von „Incest“ ist ebenfalls nah am Ausgangsmaterial (aus dem Jahr 1981) : Die Geigen erzeugen Hochtöne, die dem Original in nichts nachstehen, dazu dann unmenschliche Schreie, Stöhnen. Hier kommt der Einsatz der Stimme vielleicht Bennetts Art des Vortragens am nächsten. Seine Vocals waren für mich (zumindest bis Mitte der 80er) immer ein Changieren zwischen Souveränität (die die sloganhaften Texte zumnidest vorzutäuschen schienen) und einem absoluten Kontrollverlust. „The White Whip“ und „Fanatics“ – beide von „Twice is not Enough“ – weisen musikalische Parallelen auf: Auf beiden dröhnt dunkel eine Posaune (?), durch die Stücke einen entfernt rituellen Charakter bekommen. Auf „Fanatics“ kommt noch schleppende Perkussion hinzu, irgendwo erklingt ein Klavier. Verglichen mit den anderen drei Stücken sind das fast schon Momente der Kontemplation. (J.M.)
Label: Karlrecords (Vinyl), Zeitkratzer Records (CD)