Die Entstehungsgeschichte des ersten Rasp-Albums liest sich wie eine Wette – schaffen es zwei Musiker, ein komplettes Album an zwei Abenden, in nur zwei kurzen Sessions zu improvisieren und aufzunehmen, ohne akribische Vor- und Nachbereitung und ohne Erfahrung in derart spontaner Arbeit? Nun, „Radiate Power Words“ ist eine Antwort auf diese Frage, und was dabei herausgekommen ist, klingt eigenwilliger als alles, was man bisher von den beiden Beteiligten zu hören bekam.
Hinter Rasp verstecken sich der bekannte Geiger und Sänger Matt Howden alias The Mighty Sieben sowie die Cellistin Jo Quail, die neben ihrer Bandaktivität bei SonVer und Gastbeiträgen bei so unterschiedlichen Größen wie IRM und Black Eyed Peas bisher zwei Soloalben veröffentlicht hat. Beide sind Meister der Looptechnik, die die Wiederholung lieben und dabei zwar spontan, aber doch stets auf ein musikalisches Ziel hin komponieren. Trotz des experimentierfreudigen Charakters ihrer Musik sind beide einer Ästhetik des Schönen verpflichtet, ganz gleich ob es sich dabei um soundtrackartige Klanglandschaften handelt oder, wie z.B. im Fall von Howdens songorientierten Arbeiten, um eine Art Pop. Auch Rasp ist schön, doch von einer Art, die vom Hörer erforscht, wenn nicht gar bezwungen werden will.
Entgegen ihrer ansonsten eher komponierenden Herangehensweise stand die Idee zu „Radiate Power Words“ ganz im Zeichen der Improvisation. Jo und Matt trafen sich am ersten der beiden Abende auf einer Sheffielder Theaterbühne und jammten vor den Augen eines interessierten Publikums – nur ihre Instrumente und Pedale im Gepäck sowie eine handvoll musikalischer Ideen, die nicht miteinander abgesprochen waren. Dabei entstand das Rohmaterial des Albums quasi in Echtzeit. Am Abend drauf wurden die Aufnahmen in einem benachbarten Studio ohne viel Planung abgemischt, und auch diese Session fand „under the eye of the beholder“ statt.
In den ersten Minuten erinnert die Musik vielleicht am ehesten an Matts soundtrackartige Werke und offenbart neben einigen vertrauten Strukturen eine Mehrschichtigkeit, die bei der spontanen Herangehensweise überrascht. Doch schnell registriert man, dass trotz allem kein Song und schon gar kein Ohrwurm daraus entstehen will. Auch für folkig angehauchten Ambient wäre die Musik zu herb, und wenn Matt wiederholt die Vokabel „Breathe“ ins Mikrofon haucht, bekommt die Stimmung einen leicht rituellen Zug. Die warmen Klänge von Jos tieferen Cellosaiten vermögen das Ganze fast heimlich zu erden – heimlich deshalb, wei es eine Weile braucht, bis man sie erkennt und ortet. So sehr die Musikerin mit ihrem skelletartigen E-Cello live ins Auge fallen muss, steuert sie hier zunächst die subtileren Parts bei.
Das Vage, Unbestimmte, das ledigliche Andeuten einer musikalischen Stoßrichtung sind wohl die deutlichsten Effekte des spontanen Livecharakters, der durch den Applaus und gelegentliches Murmeln des Publikums nur noch unterfüttert wird. Auch wenn Repetition, Klangfarben und einzelne Motive an frühere Arbeiten der beiden erinnen und auch die herbstliche, nebelverhangene Verwunschenheit vertraut anmutet, sucht man hier jede „runde“ Kompaktheit. Schlimm? Nur wenn man Pop erwatet un dem attraktiven Reiz des Fragmentarischen nichts abgewinnen kann. Umso schöner dennoch einzelne Momente, in denen sich vorübergehend alles auf wenige markante Elemente konzentriert. Da wären einige rhytmische Passagen zu nennen, in denen die Saiten beider Instrumente perkussiv gespielt werden oder der durch schöne Melodiebögen illustrierte lyrische Vortrag in „Rain Falls“.
Auf gewisse Weise offenbart „Radiate Power Words“ die subtilen Strukturen der Musik Jo Quails und Matt Howdens, gerade weil so vieles offen und heterogen bleibt und nicht zu einem runden Werk synthetisiert worden ist, und es zeigt, wie ähnlich und unähnlich eine Musik klingen kann, wenn die Musiker einmal ganz anders als sonst vorgehen. Bei den beiden Sessions wäre ich gerne im Publikum gewesen. (U.S.)
Label: Redroom