JOEL LANE: The Anniversary Of Never

Unter den jüngeren Autoren der weird fiction scheint der 2013 relativ jung verstorbene Joel Lane ein Chronist der Versehrten, ein Archivar des Verlusts zu sein: „Personal loss is an important literary theme and one that I return to quite often“ sagte er in einem Interview, das ich vor zwei Jahren mit ihm führte. Wenn in (s)einem in The Socialist veröffentlichten Text über Noir-Romane Lane davon spricht, dass es sich bei diesen Texten um „literature of despair, paranoia and alienation” handle, dann kann man das zumindest partiell auch als eine Beschreibung seiner Literatur(en) verstehen. Literaturen deshalb, weil Lane sowohl Genre-Kurzgeschichten als auch gemeinhin als Mainstreamliteratur bezeichnete Romane verfasst hat, wobei gerade im Fall von Lane deutlich wird, wie artifiziell und willkürlich solche Trennungen oftmals sind. So finden sich z.B. in der posthum publizierten Sammlung The Anniversary of Never -seine fünfte Zusammenstellung unheimlicher Texte- zentrale Motiv(komplex)e, die sich in fast allen Werken des Briten finden. Auch sind intertextuelle Verweise vorhanden: So wird etwa in der hier enthaltenen Geschichte „Crow’s Nest” auf die (fiktive) Band Triangle verwiesen, deren Schicksal Lane in dem Roman From Blue To Black extensiv thematisierte.

Vergangenes Jahr brach eine kleine Kontroverse aus, nachdem der oftmals etwas rechthaberische Lovecraft-Experte S. T. Joshi eine Zusammenstellung eines anderen Autoren u.a. deswegen kritisierte, weil dieser Poes Konzept des „unity of effect” nicht beachten würde. Das ist ein Vorwurf, den man Joel Lane wahrlich nicht machen kann. Er ist ein Meister der Konzentration, was sich auch (aber natürlich nicht nur) in seiner Fokussierung auf die kurze Form widerspiegelt: Die Geschichten in The Anniversary Of Never sind meistens um die zehn Seiten lang – Seiten, auf denen er ein Panorama der Versehrten, der gescheiterten und scheiternden Beziehungen entfaltet. Für viele seiner (nicht nur hier versammelten) Geschichten wählte Lane die Großstadt als Setting, dabei sollte man allerdings nicht denken, er sei ein Verherrlicher des Dörflichen: „There are problems anywhere you live, and I don’t assume small-town or village life to be idyllic. “

Lane verzichtet weitgehend auf abgegriffene und (schon lange) erschöpfte Topoi unheimlicher Literatur; wenn man will, so kann man in der klaustrophobischen Geschichte „After The Fire”, in der es u.a. um eine missbräuchliche Beziehung geht, Spuren des Vampirmythos sehen, aber genauso lassen sich die Ursachen für die psychischen wie physischen Spuren, die ein anderer Mensch hinterlässt, auf einer ganz profanen menschlichen, allzu menschlichen Ebene verorten. Die Originalität Lanes zeigt sich auch in einem anderen Text: Gerade im angloamerikanischen Raum leidet weird fiction meines Erachtens oft an der Vielzahl von Tribute-Anthologien, die nicht alle so gelungen wie z.B. dieser jüngst veröffentlichte Machenband sind, sondern sich oftmals in der tausendsten (scheinbaren) Hommage an den Einsiedler von Providence erschöpfen. „Sight Unseen“, die Geschichte, mit der The Anniversary of Never eröffnet wird, erschien ursprünglich in einer Anthologie namens Lovecraft Unbound. Lane hat aber keine Veranlassung verspürt „unaussprechlichen Kulten“ [sic] zu beschwören oder Namen voller Konsonantencluster zu erfinden, stattdessen gelingt es ihm eine beängstigende Geschichte über Verlust zu verfassen, die dennoch nah an Lovecraft ist. Hatte noch Reggie Oliver in seiner Geschichte „Flowers of the Sea“ das Grauen der Demenz im Rahmen einer unheimlichen Geschichte behandelt, so präsentiert Lane in der Geschichte „Midnight Flight“ einen Protagonisten, der mit den lapidaren Zeilen „Paul Cooksey remembered the book’s title on the same day that he forgot where he lived.“ eingeführt wird. Seine Erinnerungen verwandeln sich in „a ragged pattern of darkness“ und der Versuch einer Horroranthologie habhaft zu werden, derer er sich aus seiner Kindheit erinnert, scheint seine letzte (fast möchte man sagen natürlich vergebliche) Hoffnung zu sein. In der Titelgeschichte gelingt es Lane auf nur fünf Seiten einen Protagonisten immer mehr der Realität zu entfremden: „Things are missing all the time. Turning black. And I’m getting memories that are the same. Not real memories. Just things blackened. Burned. But more real than what I can remember.“ Das Perfide ist, dass gegen Ende der Anschein erweckt wird, dass der Protagonist es selbst war, der dazu beigetragen hat, dass sich seine Erinnerungen verlieren: „What I sold you…if there was a way back and I could sell it to you, I’d make you a deal. But there just isn’t one […] Once you get into the business of forgetting, you can’t cherry-pick what to lose and what to hold onto.“ In „Alll the Shadows“ dagegen heißt es: „Memory is an infection: you can pass it on, but you can’t get rid of it.“ Trost klingt anders.

Lanes Stil ist präzise, Metaphorik wird gezielt eingesetzt. Suchte man nach einem zentralen Bild, das die Stimmung von The Anniversary of Never zusammenfasst –einer Sammlung, in der Geschichten versammelt sind, „concerned with the theme of the afterlife […] and the idea that we may enter the afterlife before death, or find parts of it in our world“ – so ließe sich das Wort „Asche” nennen, das in einer Reihe der Geschichten vorkommt: „But the new leaves were prematurely dead, hanging from the twigs like ashes from a bonfire or the tatters of a burnt cloth.” Seine letzte noch zu Lebzeiten veröffentlichte und mit dem  World Fantasy Award ausgezeichnete Sammlung hieß dann auch passenderweise Where Furnaces Burn.

Die (teils katastrophalen) Möglichkeiten der Existenz, des Existierens (mit anderen), die hier vorgestellt werden, lassen einen vielleicht verstehen, wie es gekommen ist, dass Lane sich in den letzten Jahren politisch sehr engagierte - „the conscience of horror“ wurde er einmal genannt; eine von ihm (und Allyson Bird) herausgegebene Anthologie namens Never Again versammelte „weird fiction against racism and fascism“. In dem beängstigenden „For Their Own Ends“ (vielleicht Lanes Antwort auf Robert Aickmans wahrscheinlich bekanntesten Text „The Hospice“?) heißt es „Without a voice, you were lost.“, eine durchaus (auch) politisch zu lesende Aussage. Die beängstigende Geschichte „For Crying Out Loud“ präsentiert dem Leser Figuren, die Schreie(n) der Gemarterten und Getöteten hören können. Am Ende heißt es auf die Frage, warum diese Stimmen plötzlich verstummt seien: „I think…they called. That was all, They called, and nobody answered.“ Lanes Kurzgeschichten sind vielleicht das literarische Äquivalent zu den Songs von (den von Lane verehrten) Joy Division. „Hier ist kein Trost“ möchte man vielleicht einen Autor zitieren, der politisch (und menschlich) sehr weit von Lane entfernt war. Dieser Band sollte (und das ist durchaus Prognose wie Forderung) dazu beitragen, dass Joel Lane so schnell nicht vergessen werden wird.

(M.G.)

Verlag: Swan River Press