Ganze sechs Jahre ist es nur her, dass die in Berlin lebenden Argentinier Mueran Humanos mit ihrem selbstbetitelte Debüt für Aufsehen sorgten. Das Album erschien in zwei Auflagen bei Old Europa Café und Blind Prophet und verschaffte sich auch durch Auftritte in den verschiedensten Kontexten Gehör sowohl bei den Nachfahren der Industrial Culture als auch bei den trendigen Kids der New Wave of Dark Wave. Beide mit Punkwurzeln und nebenbei literarisch und im visuellen Bereich aktiv, kamen Carmen und Tomás auch ganz gut mit diesem Spagat klar, ohne je was auf Genre- und Szenebegriffe zu geben. Nach einigen Jahren des Tourens und Aufnehmens, nach einer ganzen Reihe an kleineren Veröffentlichungen und Remixen durch und für andere haben sie nun aus ihrem großen Fundus an Songs ein neues Album destilliert, dass in Kürze unter dem Titel „Miseress“ in den besseren Plattenläden stehen sollte.
Stellt man zunächst die Frage nach den Gemeinsamkeiten und Unterschieden zum Debüt, so kann man festhalten, dass viele wesentliche Dinge – glücklicherweise – beim alten geblieben sind. Mueran Humanos glänzen nach wie vor durch eine gelungene Arbeitsteilung zwischen Elektronik und kernigen Bassklängen, durch den abwechselnden spanischen Gesang von Carmen und Tomás, der in gelegentlichen Duetten gipfelt, durch eine Stimmung, die kämpferisch, anklagend, vital und sexy zugleich ist und nicht zuletzt durch das Artwork, das auf Carmens verstörenden Fotokollagen basiert und auch jenseits der Musik Erfolge verzeichnet. Einer der Unterschiede ist, dass die beiden vorher keine Sounddesigner waren.
Auf dem Debüt und den darauffolgenden EPs fanden sich Songs, die man guten Gewissens als Bretter bezeichnen konnte – Post Punk-Stücke, die in erster Linie straight nach vorn gingen und deren Atmosphäre auch von einem gewissen Primitivismus lebte. Genau der ist aus den meisten der neuen Stücke verschwunden, stattdessen zeigen die beiden, die neuerdings von Jochen Arbeit (Die Haut, Einstürzende Neubauten, Automat) an der Gitarre unterstützt werden, von einer feinsinnigen und detailverliebten Seite, bei der kein Sound einfach dem Zufall überlassen bleibt. In dem gleich eröffnenden Titeltrack zeigt sich nicht nur die softere und geschliffene Seite des Klangbildes, sondern auch ein gewisses Interesse an wabernder, hallunterlegter Elektronik, die an bestimmte Retrosounds der 80er erinnert. „Miseress“ ist so poppig wie das bei Konzerten beliebte „Culpable“, doch statt wie eine spanisch-sprachige Version des NDW-Hypes zu klingen, hat der relaxt daherkommende Song einen weitaus mehr arty Touch. Wie viele andere Stücke offenbart der Song seine kraftvolle Seite erst mit der Zeit.
Ihr ganzes Können auf dem Gebiet zeigen die beiden und der im Studio unterstützend agierende Boris Wilsdorf bei Stücken wie „Mi Auto“, das wie eine Ballade zu beginnen droht. Im Verlauf wird Carmens heißer gehauchte Stimme von einem stets in Bewegung gehaltene Soundteppich untermalt. Wie groß der Unterschied zu früher ist, zeigt der einzig ältere Song „El Circolo“, der bereits auf einer EP zu hören war und hier mit seinem gröberen Klangbild wie eine Enklave früherer Errungenschaften wirkt. Doch auch die neuen Songs haben Energie, „Un Lugar Ideal“ zum Beispiel ist eine der kraftvollsten Nummern überhaupt, bei der Carmens punkige Shouts vom unermüdlichen Takt aus merkwürdigem Geklöppel und flankiert von allerhand Neoisedetails nach vorn preschen. Bei „Guerrero de la Gloria Negativa“ zeigt sich Tomás Stimme von ganz unbekannten Seiten, wirkt beinahe erschöpft, wie die eines Erlkönigs, der sich mit Mühe und Not durch die infernalische Musik kämpft.
Der Wandel wird sicher – ähnlich wie bei der Entwicklung von Noblesse Oblige – nicht von jedem begrüßt werden, doch einige Aspekte beweisen deutlich, dass die beiden mehr als nur ein Klassenziel erreicht haben: Aus dem Postpunk der Argentinier ist sozusagen ein veritabler Elektroclash geworden, der immer noch genug kernige Bassläufe aufweist und v.a. harte Nummern zustande bringt, was ich zudem begrüße ist, dass die Drummachine viel besser ins Soundbild integriert ist. Wie dem sei, „Miseress“ belegt, dass Mueran Humanos kein Strohfeuer waren, und dass ihr Name auf der Karte innovativer Musik fett gedruckt gehört. (U.S.)
Label: ATP Recordings