Mit ihren düsteren Kopfhängersongs und einem Schuss Americana konnten die Norweger Madrugada um die Jahrtausendwende herum ein recht unterschiedliches Publikum begeistern, wozu neben der Tiefe ihrer Songs sicher auch die Tatsache mit beitrug, dass sich Nick Cave gerade immer mehr vom Geschmack seiner Fans entfernte, während Mark Lanegan noch brav bei den Queens of the Stone Age Studentenrock fabrizierte. Nach drei Alben löste sich die Band allerdings auf, und das Nachfolgeprojekt My Midnight Creeps wurde nach dem frühen Tod von Sänger Robert Burås ebenfalls nach nur zwei Alben aufgelöst.
Dass der zweite Mann dieser Band, Alexander Kloster-Jensen, vor einigen Jahren die Gruppe Kitchie Kitchie Ki Me O formierte, wurde in unseren Breiten trotz eines großen Labels nur marginal registriert. Würde man an der Stelle einen Punkt setzen, wäre das Ganze eine eher traurige Geschichte, doch bekanntlich soll man den Tag nicht vor dem Abend verfluchen. Dieser sprichwörtliche Abend ereignete sich etwas früher in diesem Jahr, denn da blickte nach genau fünf Jahren der zweite Longplayer der Band das Licht der Welt, und „Are You Land or Water“ klingt wie der Inbegriff eines vitalen Neuanfangs.
Wie Kloster-Jensen, kurz Alex K, verschiedentlich mitteilte, wurde er zu dem Album bei einer Deutschlandreise inspiriert, während der der von Höhlen begeisterte Wanderer den in Thüringen gelegenen Kyffhäuser besuchte und sich ausgiebig mit dem Mythos des Kaisers Friedrich Barbarossa befasst. Zwei der meist instrumental gehaltenen Stücke auf dem Album referieren dem Titel nach auf diesen Stoff, der genauere Zusammenhang erschließt sich vielleicht, wenn man die Sage vom schlafenden Kaiser kennt, der eines Tages – sollte die Welt nicht vorher untergehen – aus seinem von Wasser durchfluteten Höhlenreich auferstehen und das Heilige Römische Reich als ein Reich des Friedens neu errichten wird.
Was neben der Enrgiegeladenheit an „Are You Land or Water“ am meisten fasziniert, ist die unbekümmerte stilistische Mixtur, bei der der stimmungsmäßige rote Faden nie aus den Augen gerät und die Musik bei allem Abwechslungsreichtum nie in die Nähe eines konzeptlosen Mash-up gerät. Fast alle der Songs sind äußerst tanzbar: Ruft das eröffnende „Barbarossa (Fire Birth)“ mit der grobkörnigen Dröhnfläche und den stylischen 4 to the Floor-Beat vergangene Liebäugeleien mit Garage Rock in Erinnerung, so groovt das basslastige „Saleph (The Voyage)“ in einer Art und Weise, dass man sich zugleich in die Swinging Sixties und in ein blueslastiges Kraut-Szenario versetzt fühlt, bei dem zu allem Überfluss auch noch die Thievery Corporation um die Ecke lugt. Sollten dies die Träume des schlafenden Kaisers sein, so wirken sie wie hoffnungsfrohe Omen. Zu Vielfalt und Experimentierfreude in kulturellen und geistigen Dingen neigte er ja ohnehin.
„Are You Land or Water“ bietet in diesem Sinne jede Menge Stoff für nerdiges Name- und Termdropping. Man kann das Dub-Feeling des mit viel Hall und Reverb aufwartenden „Going Firth by Day“ nicht verschweigen, dessen betont schlaftunkene Gesangsspur bereits mit Bon Iver verglichen wurde, woran ich mich aber nicht anschließen würde. Auch kann man den Schuss Exotica und den Afrogesang des herrlich rumpelden Titeltracks nicht verschweigen. Der Kritik eines Kollegen, die Platte hätte mit seine starken Tracks eher Qualitäten einer Compilation statt der Kohärenz eines Albums, stimme ich ebensowenig zu, viel zu sehr bilden die unterschiedlichen Rhythmen zusammen mit dem fast durchgehend in Bauch und Beine gehenden Groove ein in sich stimmiges Narrativ. Und selbst der genannte Stilmix, der Mods und Clubgänger gleichermaßen zufriedenstellen sollte, bleibt konstant und stiften Kohärenz.
Dass das letzte Stück „Europa“ den Zusatz „First Light“ trägt, ist bezeichnend – mit seinen fast kosmisch anmutenden Abient-Soundscapes könnte es eher einen zur Ruhe bettenden Abschluss bieten, aber in seiner hellen Klangfärbung, v.a. aber durch das abschließende Medley aus Cabaret und entschleunigtem Rock’n'Roll wirkt es wie das zwiespältige Gefühlschaos nach einer von turbulenten Träumen durchtränkten Nacht. (U.S.)
Label: House of Mythology