Es gibt wohl wenige (ursprünglich) der ökonomischen Notwendigkeit geschuldeten Comebacks – die Veruntreuung von Cohens Ersparnissen durch seine Managerin während seines Aufenthaltes im buddhistischen Kloster ist gut dokumentiert -, die künstlerisch so ertragreich gewesen sind wie das des inzwischen 82-jährigen Kanadiers – und zwar qualitativ wie quantitativ: Schließlich hat Cohen seit 2012 alle zwei Jahre ein neues Studioalbum veröffentlicht, etwas, das ihm seit seinen ersten drei Alben nicht mehr gelungen ist. Die Anekdote, dass er dem diesjährigen Nobelpreisträger gegenüber behauptet habe, für „Hallelujah“ habe er nur zwei (statt der tatsächlichen fünf) Jahre benötigt, während Dylan sagte, „I and I“ habe er in 15 Minuten geschrieben, sagt viel über seinen Arbeitsprozess aus.
Auf dem Cover des von seinem Sohn produzierten Albums blickt Cohen aus dem Licht ins Dunkel und seine Hand reicht schon hinein. Man kann das natürlich als Abgesang, als Blick Richtung Schnitter lesen. Man denke auch an den weithin Widerhall gefundenen Brief, den Cohen an seine im Sterben liegende ehemalige Partnerin verfasste: „Marianne, it’s come to this time when we are really so old and our bodies are falling apart and I think I will follow you very soon. Know that I am so close behind you that if you stretch out your hand, I think you can reach mine.“ Im New Yorker sprach er davon, er sei bereit zu sterben. Auf dem Titelstück heißt es „I’m ready my Lord“ und „I’m broken and lame“. Auf „Steer Your Way“ singt er: “Steer your way through the pain/that is far more real than you/That has smashed the Cosmic Model,/that has blinded every View”. Es werden Abschiede thematisiert: „I’m leaving the table/I’m out of the game“ hört man auf „Leaving the table“ oder “I’m traveling light/It’s au revoir ” auf “Traveling light”. Dennoch: Wenn das in vielen der Rezensionen der Standardinterpretationsansatz wird, dann ist das vielleicht manchmal eine etwas (zu) eindimensionale Lesart, schließlich hat es Tod, Dunkelheit und Enden im Werk Cohens schon immer gegeben (und als 54-Jähriger thematisierte er im inzwischen paradigmatisch gewordenen „Tower of Song“ schon den schmerzenden Körper). Man sollte bei der Exegese auch nicht vergessen, dass z.B. „It Seemed the Better Way“ auf einem schon 2008 veröffentlichten Gedicht aus Cohens „Book of Longing“ basiert und eben kein aktueller Text ist.
Allerdings kann man zumindest sagen, dass die Transformation vom agilen Endsiebziger, der nach einem Dreistundenkonzert noch in der Lage war, auf der Bühne in die Knie zu gehen, in einen fragilen 82-Jährigen, der im Booklet des Albums seine Rückenprobleme, die ihn fast von der Fertigstellung des Albums abgehalten hätten, thematisiert, ein Zeichen der brutalen Faktizität des Alter(n)s ist. „[O]ur flesh/ surrounds us with its own decisions“, heißt es schon in Larkins Gedicht „Ignorance“.
Ob das Album als “Testament” zu lesen ist, wird sich zeigen, schließlich verkündete Cohen jüngst augenzwinkernd entgegen seinen Äußerungen im oben angesprochenen Interview, er plane 120 Jahre alt zu werden und wolle noch zwei weitere Alben aufnehmen.
Wie auch schon die beiden Vorgänger bietet das behutsam instrumentierte „You Want it Darker“ weit mehr als “gediegene[…] Ereignislosigkeit” (die ein Rezensent scheinbar wohlwollend attestierte). Da gibt es das dezent von Piano und Bass untermalte „Treaty“, „Leaving the Table“ mit seiner Pedalsteelgitarre, das reduzierte Pochen des Titelstücks, die im Hintergrund dröhnende Orgel auf „If I Didn’t Have Your Love“, das Mandolinenspiel auf „Travelling Light“, das vielleicht eine Reminiszenz an Cohens Zeit auf Hydra ist. Auf „Steer Your Heart“ (ein Stück, auf dem Cohen tatsächlich in Passagen singt) lassen sich gar musikalische Anspielungen auf seine Anfänge in einer Countryband finden. Die Stücke am Ende des Albums, auf denen den Streichern eine größere Rolle zukommt, sind besonders überzeugend und weisen vielleicht in eine leicht neue Richtung: Auf “It Seemed The Better Way” gibt das Zusammenspiel von Geige und dem Synagogenchor, der auch schon auf dem Titelsong zu hören ist, dem Stück eine fast transzendentale Größe (auch wenn Cohens Beziehung zu etwas Höherem immer von Ambivalenz geprägt war: “A million candles burning/For the love that never came”). Auf der das Album abschließenden „String Reprise“ wird „Treaty“ noch einmal aufgenommen. Das ist fast eine Form von Kammermusik, die zur Begleitung von Cohens Bariton sicher geeigneter ist als die teils arg cheesy klingende Keyboarduntermalung einiger anderer Alben. Und auch der Synagogenchor passt zu Stimme und Stimmung besser als die Backgroundsängerinnen, die Cohens Alben und Auftritte so lange begleitet haben (und die sich hier u.a. bei „On the Level“ noch einmal finden).
Wenn tatsächlich das unausgegorene „Dear Heather“, von dem sich bezeichnenderweise (ebenso wie von Cohens Album mit Phil Spector ) kein Stück auf Setlists der letzten Jahre gefunden hat, sein Schwanengesang geworden wäre, dann wäre sein Abtritt von der Bühne sicher antiklimatisch gewesen, aber mit den drei Alben der letzten Jahre hat er ein Spät(est)werk geschaffen, das beeindruckend ist.„I’m angry and I’m tired all the time“ heißt es auf „Treaty“. Man kann hoffen, dass der Ärger über die Müdigkeit triumphiert und Cohen die Energie gibt, ein neues Testament aufzunehmen. (MG)
Label: Columbia