Lon C. Diehl und Richard Skott, die 1981 die Band Hunting Lodge gründeten, haben besseres verdient, als in die Annalen des Post-Industrial als One Hit-Wonder einzugehen. Freilich, kein Kenner der Materie würde sie so nennen, aber unter denen, die lärmige Musik primär über die schwarzen Clubs kennen gelernt haben, verbinden einige die beiden Amerikaner überwiegend mit ihrem perkussiven Kracher “Tribal Warning Shot”, der, ich geben es zu, zurecht legendär ist.
Hunting Lodge haben aber, trotz ihres nur knapp zehnjährigen Bestehens und ihres überschaubaren Outputs, weit mehr zu bieten. Das könnte in der nächsten Zeit durchaus deutlicher die Runde machen, denn die beiden zeigen sich in den letzten Jahren ziemlich rührig, was die archäologische Aufarbeitung ihrer aktiven Jahre angeht. Das hippe Label Dais Records hat vor zwei Jahren ihr Album “Will” neu aufgelegt, etwa zeitgleich erschien vergriffenes Material in einer Box bei Vinyl on Demand, es gab sogar ein Konzert mit den Wolf Eyes, und bald sollte ihre lange angekündigte Doku “Hunting Lodge, The Story of Two Nomad Souls” erscheinen. Die jüngste Wegmarke ist die gerade bei Dark Vinyl erschienene Compilation “1982-1989″, die eine gute Auswahl bekannter und obskurer Aufnahmen vereint.
Als Band der frühen 80er gehören Hunting Lodge zur ersten Generation nach der ursprünglichen Industrial Culture, unter deren Vertretern sie mit ihren dominanten Rhythmen und den kraftvollen Vocals sicher SPK am nächsten stehen. Interessant im Hinblick auf ihren eigenen Einfluss ist aber, dass sie – vereinfacht gesprochen – zwei Seiten haben, die sich nur minimal überlappen. Da sind zum einen Tracks, die mit metallener Perkussion einem rauen “Ethno”-Ritual-Sound frönen, der ohne okkulten Überbau auskommt und eher wie der Soundtrack zum Hereinbrechen der primitiven Archaik in eine niedergehende Zivilisation anmutet. Auf der anderen Seite finden sich bei Hunting Lodge Songs, deren Industrial-Sound recht nahe an EBM herankommt und mittels Bass und später Gitarre den Weg nicht nur für Bands wie Skinny Puppy, Numb oder Mentallo and the Fixer, sondern auch für Ministy ebneten.
Ohne sich chronologisch an die Erscheinungsdaten zu halten, trägt die vorliegende Sammlung, die sich auf die kompakteren, eingängigeren Stücke beschränkt, auch dieser Unterscheidung Rechnung. Das eröffnende “Tribal Warning Shot”, dessen Studioversion von 1985 in remasterter Form vorliegt, muss man älteren Semestern nicht mehr beschreiben. Die wabernde Synthiespur, die zu Anfang wie hypnotisiert wirkende Stimme von Gastvokalistin Trish Danon und das immer aufgepeitschtere Freakout des tribalen Metallschepperns a la Z’ev hat schon so manchen Tanzboden zum Überkochen gebracht.
Weitere Stücke dieser Art erschienen ebenfalls Mitte der 80er auf dem Album “Nomad Souls”, hier repäsentiert durch das monotone “Rhythm Cage”, bei dem das postapokalyptische Geschepper auf das Allerwesentliche reduziert ist, und v.a. durch das schmerzlich unterrepräsentierte “The Wolf Hour”. Eventuell inspiriert durch Bergmanns Stude des Wolfs (1967) beschwört eine weitere Gastsängerin, beinahe auf Rose McDowall-Art, den Moment, wenn der Getriebene sich zu weit aus dem Schoß der vertrauten Zivilisation herausgewagt hat – zu weit in den dunklen Wald hinein, zu weit in die Nacht, deren Zähne schon gefletscht sind. Die Drums wirken nervöser als beim vergleichsweise heiteren “Tribal Warning Shot”, und die Stimme, die zunächst nonchalant wirkt, gerät im Verlauf des Songs immer gehetzter und steigert sich gegen Ende in hyterisches Kreischen.
Wuchtig auf gänzlich andere Art sind die Stücke mit einer Schlagseite in harten Electro, bei der – im Gegensatz zu den tribalistischen Tracks, die oft eine weibliche Seite haben – markante, maskuline Vocals im Zentrum stehen. Heraus ragen das von heulendem Feedback, aggressiven Beats und kraftvollen Shouts vorangetriebene “8 Ball” von gleichnamigen Album, “Rip to the Shreds” (ein Bonus-Track der “Will” und eines der treibendsten, kämpferischsten Stücke der Band), sowie “Carnivore!” von der gleichnamigen EP: Zu einem Sound, der recht nahe an schleppenden Downtempo-Rock herankommt, singt hier eine vor Testosteron triefende Stimme ein Loblied auf den Fleischgenuss und führt sich unter Aufbietung aller Ambiguität reichlich ad absurdum.
Dass eine Band, die auch einen Song namens “May this Meat Kill Me” im Repertoire hat, dem Produkt Fleisch eher kritisch gegenübersteht, liegt nahe, aber in einer Hinsicht sind Hunting Lodge purer Industrial – allem Predigen und Plädieren abhold stellen sie kontroverse Themen lediglich aus, arbeiten mit Ambivalenzen und Überidentifikationen und kalkulieren die unterschiedlichsten Interpretationen mit ein. Dieser Song sticht übrigens insofern heraus, indem er mit seinen leichthändigen Beats und einer gewissen Funkyness fast Popquaitäten hat bzw. hätte, wäre da nicht der vollkommen entgrenzte Brüllgesang. Mit “Night from Night”, dessen brchiale Synthies und fette Pauken in einen dystopischen Luc Besson-Film gepasst hätten, erreichen sie ihren munumentalen Höhepunkt, Industrial-Sound in seiner reinsten Form, präsentieren sie in einem Outtake des ansonsten unberücksichtigten “Exhumed”-Albums und noch mehr in “Banishing Dirge”, dem fulminanten Ausklang der “Will”.
Ich will mich nicht zu Spekulationen hinreißen lassen, aber bei so vielen Lebenszeichen sollte man die Band eigentlich zu einem Comeback nötigen. “1981-1982″, das ein paar Tracks mit der vor gut 15 Jahren erschienenen “Necropolis”-Compilation gemeinsam hat, ist jedenfalls ein guter Apetithappen für Späteinsteiger und diesen wärmstens empfohlen. (U.S.)
Label: Dark Vinyl