Es ist immer schade, wenn ein Musiker jahrelang arbeitet und nur geringe Beachtung außerhalb einer kleinen Community findet. Ein Vorteil ist allerdings, das so jemand sich vergleichsweise unbehelligt entwickeln kann und meist schon eine gewisse Reife hat, wenn ihm dann doch der Durchbruch gelingt. Qualität und eine erkennbare künstlerische Vision vorausgesetzt, tritt er dann ohne die typischen Klischees und Oberflächlichkeiten in die Öffentlichkeit, die bei Senkrechtstartern oft der Preis für eine gewisse Frische sind.
Ob der Katalane Antonio González Balsalobre, der unter dem Namen Zozobra dunkle, krachige Elektronik der feinsten Sorte spielt, mit Absicht fast ein Jahrzehnt lang nur im kleinen produziert (und einige Dokumente über Bandcamp veröffentlicht) hat, ist mir nicht bekannt. Seine erste LP jedenfalls, die vor kurzem erschienen ist, erfüllt in puncto Reife und Intensität mehr als solide Standards.
Sein Labelinfo nennt ihn „an iconoclast inside the postindustrial mélange“ und vergleicht seinen kratzenden, pulsierenden, gluckernden Sound und die sich selbst immer wieder neu erfindenden Strukturen mit Coil und Nurse With Wound, wobei ich v.a. den ersten Vergleich nachvollziehen kann und – nicht nur aufgrund der kräftigen, sich immer wieder verändernden Midtempo-Rhythmen – oft an die frühen Coil der „Scatology“-Phase denken musste. Allein die Referenz relativiert natürlich den Post Industrial-Stempel massiv, was nicht anders zu erwarten ist bei einem Künstler dieser Coleur, der seine Konzerte schon mal mit dem Evergreen „Nature Boy“ einleitet.
Schon im Intro demonstriert Antonio, wieviel er in einen einzigen dröhnenden Sound zu packen und zu amalgamieren vermag: raues Rauschen, Brummen und Kratzen vermischt sich mit dem angsteinjagenden Fauchen einer Bestie, später krempelt ein hoher, fast an Weinen erinnernder Sound die Stimmung komplett um, aber was bleibt ist ein infernalischer Grundton, der sich durch alle sieben Tracks ziehen wird. Oft kontrastiert rituelles Stampfen mit hintergründigem Glühen und lässt interessante Effekte entstehen, an anderen Stellen ist es verschiedenartiger gesampleter Schutt, oder aber simple Computersounds oder ein mysteriöses Glockengebimmel zieht einen in eine zwiespältige Parallelwelt, in der man für kurze Augenblicke dem Drama und der tremolierenden Grundnervosität entfliehen kann – dem Schmerz, den diese Musik zu suchen scheint wie ihren ganz eigenen Exorzisten, denn auf eine verquer vitale Art ist Zozobra so ziemlich das Gegenteil von Eskapismus.
Über all diesen Szenarien, die sich nie vollends zwischen Song und Soundscape entscheiden müssen, breitet sich in regelmäßigen Intervallen eine kräftige Stimme aus, die zwischen leicht melodischem Sprechgesang und entschlossener Proklamation wechselt und – wenn mein nicht sehr verlässliches Spanisch mich nicht täuscht – von allerlei Stürmen und Illusionen der Liebe und der Ichfindung, des Zweifel(n)s und des Ringens mit einem in Schmerz und Lust getränkten Körpergefühl künden. All dies verleiht Zozobra eine merkwürdig ambige Aura zwischen Mystifikation und existenziellem Ringen und damit einen besonderen Reiz.
Neben den obligatorischen Downloads erscheint das Werk auf 333 schweren schwarzen Scheiben. (U.S.)
Label: Magia Roja