Heroin in Tahiti hatten zu Beginn ihrer Karriere einen unverkennbaren Stil, der sich wunderbar als Trademark eignete, nämlich eine ultraentschleunigte (und somit auch ultracoole) Doomversion einer an Link Wray erinnernden Sufmusik, vergleichbar mit dem, was diverse Darkjazzer eben mit dem Erbe von Miles Davis und anderen gemacht hatten. Dabei ist es aber keineswegs geblieben – zum Glück, denn Stile mit allzu originellem Wiedererkennungswert gerinnen schnell zum Klischee ihrer selbst und finden im schlimmsten Fall noch schnöde Nachahmer. Stattdessen wussten die beiden Römer ihr Markenzeichen mit verschiedenen Stilelementen zu erweitern: Rituelles und Exotisches, Folkzitate und verhaltener Noise, Motive aus alten italienischen Genrefilmen und einiges mehr hielt Einzug ins Repertoire des Duos, hinter dessen schicksalsschwangerer Doomschwere man schon immer ein schalkhaftes Grinsen auszumachen meinte – wer einen Song “Ex-Giants on Dope” nennt, glaubt nicht an die Vorsehung. Überdies waren die meisten Heroin in Tahiti-Alben konzeptuell ausgerichtet und erhielten ihren individuellen Charakter somit nicht nur über den Stil, sondern auch über Inhalte.
Letzteres brachte es mit sich, dass in den zahlreichen spontanen Sessions immer wieder Material entstand, das in keines der Albenkonzepte passen wollte. Was sich da in den letzten knapp zehn Jahren angesammelt hatte und auf einsamen Tapes auf bessere Zeiten wartete, wurde soeben auf der vorliegenden LP zugänglich gemacht. Der Titel verweist auf die seit der Antike existierende Via Casilina, die vom Zentrum Roms aus nach Südosten führt, und an deren oberen Ende, noch im Bereich der Innenstadt Roms, die beiden ihr Domizil haben. Man traf sie gelegentlich im benachbarten DalVerme-Club, einem der legendären Gentrifizierungsopfer der ewigen Stadt.
Auf diesen Songs also, die grob chronologisch angeordnet sind, zeichnet sich die Bandbreite ihrer “Spaghetti Nightmares” weitaus besser ab als auf ihren Alben. Viele der Stücke greifen trotz ihres so artifiziellen Charakters tief in die Rock’n'Roll-Kiste und scheinen aus einem ohne Budget gedrehten Roadmovie gefallen, der quer durch trockenes, mediterranes Land führt, und weil die Szenerie so abgedunkelt ist, wird einem imemr erst mit der Zeit in einem Aha-Moment bewusst, dass das ganze nicht in Arizona oider New Mexico spielt, sondern in einer abgelegenen Provinz des südlichen Italiens, und das kein Künstler der schwarzen Serie, sondern ein Neorealist die verwackelte Kamera führt. “Arco Ione” ist so ein Stück, das mit seinem wehmütigen Gitarrenspiel und dem einfachen, hypnotischen Takt diese Mischung aus Melancholie und Verwegenheit, für die man Heroin in Tahiti liebt, wie in einer Nussschale repräsentiert. “Bad Auspicia” führt noch weiter hinein in eine surfrockige Desertfolk-Region, wie aufgeklebt wirkende, schneidende Gitarrenfiguren und trunkene Unklarheiten beim Tempo machen klar, dass man sich in einer eher fragwürdigen Wirklichkeit befindet.
Geben diese Tracks die stilistisch noch etwas homogenere Frühphase wieder, so geben andere Zeugnis über die späteren Avantgarde-Flirtereien der Band, so der schwindelerregende Ohrwurm “Veltha in C23″, der ein Interesse an deutscher Kraut-Elektronik nahelegt, die monumentale Synthienummer “Steve Tamburo is not Dead”, oder das Steve Reich-artige Highspeed-Gewusel von “Holy GRA Reversed”, dessen Rhythmus immer mehr zu einem rauschenden Sog wird und am Ende ganz im vernebelten Lärm aufgeht. Ebenfalls in diese (natürlich nur vage gültige) Kategorie zählt “Larentalia”, das entgrenzte Drums und Reminiszenzen an Filmmusik besserer Zeiten zu einem anarchischen Irrgarten zusammenschustert.
Andere Nummern geben den exotischen Interessen der Römer Raum – in Form hübscher, orientalisch anmutender Melodien wie in “A Tergo Lupi”, mittels asiatischer Doppelblatt-Instrumente, die in “Lago Finto” mit barocken Computersounds zusammen kommen, und nicht zuletzt in “Zziggurat Tempesta”, das irgendwie alle tpyischen Ingrendienzien des Heroin in Tahiti-Flairs zusammenbringt: Vielschichtige Hauch- und Dröhnflächen, rituelle Handdrums, die sich gut auf dem letzten Longplayer “Remoria” gemacht hätten, das ein von Bruder remulus gegründetes Anti-Rom zu okkultem Leben erweckte; zuguterletzt wieder filmreife Twangs und andere Gitarrenornamente, die nach Surf, Road und Desert klingen.
Die “Spaghetti Nightmares” der beiden sind ein Konstrukt, und zwar ein großartiges. Im ganzen zwanzigsten Jahrhundert waren Italiener gut darin, Kulturerzeugnisse anderer Gegenden zitathaft zu recyclen und ihnen dabei einen eigenen Stempel aufzudrücken – ein Phänomen, bei dem man keineswegs immer nur den oftzitierten Western heranziehen muss. Heroin in Tahiti wirken wie ein dickes Ausrufezeichen dahinter. Wer also: keine Aversion gegen Lofi und ein Herz für originelle Spierereien hat, dem sei diese Compilation als Einstiegsdroge empfohlen – leider kommt sie zuammen mit dem Gemunkel, dass es eventuell die letzte Scheibe der Band sein könnte. Das wäre eine Kriegserklägung an die Fans, die sich über die Jahre weit über den Italienischen Raum hinaus angesammelt haben, aber wer weiß schon, was da dran ist. (U.S.)
Label: Boring Machines