In ihrem 1991 erschienenen Buch Angry Women stellte Andrea Juno nicht nur die “weibliche Seite der Avantgarde” – so der deutschsprachige Untertitel – vor, sondern legte dabei auch einen dominanten Schwerpunkt auf gesellschaftskritische Ansätze und einen im weitesten Sinne feministischen Widerstand gegen patriarchale Strukturen und Diskriminierung, und nicht zuletzt gegen eine Vorstellung des Weiblichen als im herkömmlichen Sinne schön und sanft. Viele der interviewten Künstlerinnen wie Lydia Lunch oder Diamanda Galas propagierten eher eine aggressive, mitleidlose Variante von Weiblichkeit.
Es scheint, dass die letzten Jahre mit ihren hybriden – böse Menschen mögen sagen verhipsterten – Post-Avantgarden und ihren gleichzeitigen Geschlechterdebatten eine sehr vitale neue Generation an Angry Women hervorgebracht haben. Zu diesen sehr unterschiedlich gelagerten Musikerinnen, von denen hier u.a. Pharmakon, Puce Mary und – weniger gehypet – Lingua Ignota vorgestellt worden sind, kann man auch die in Seattle lebende Nicole Carr zählen, die unter dem Namen Bloom Offering eine z.T. brachiale Form des Synthwave zwischen kühlen Arrangements und abgründigen, proklamatorischen Vocals produziert.
Ein Strauß dörrer Disteln auf einem abgerissenen Foto, abgründig wabernde Bässe und eine bedrohlich hauchende Stimme, deren Volumen das ganze erste Stück über unklar bleibt und eine durchgehende Ambiguität aus Nähe und Distanz aufrechterhält, dann plötzlich einbrechende Brutalität – Bloom Offering scheint viel daran zu liegen, schon auf den ersten Eindruck klar zu machen, dass ihre auf einige Tapes folgende LP “Episodes” um die Gebrochenheit von Strukturen und Identitäten und um unsichere, mitunter ironische Positionen kreist, und wenn irgendwann der stampfende Takt einsetzt, ist unmissverständlich klar, dass das bei aller Trockeneistauglichkeit kein romantischer Synthiepop und erstrecht kein prolliger EBM a.k.a. Aggrotech ist.
Auch wenn die meisten Tracks gleich mit einem Donnerschlag auf den Punkt kommen, geht es hier weder trivial noch allzu einfach zur Sache. Oft sind die Takte monoton und die Stimmungsnuancen unterkühlt – schwer greifbare perkussive Beigaben mischen den Sound aber an vielen Stellen auf, ebenso der stets zwischen Aggressivität, Abgeklärtheit und Entrücktheit wechselnde Gesang, dessen Expressivität das übliche Fauchen und Kreischen nur bewusst an markanten Stellen einsetzt, wobei Schlüsselwörter immer wieder besonders betont werden und Carr gerne in einen mehrstimmigen Dialog mit sich selbst tritt. Eispickeltakte werden zu Trommelwirbeln, glasklare Synthies stimmen eine Fanfarenmelodie an, Ansagen ertönen durch ein Megafon und im Unterschied zu vielen anderen neuen Synthieacts kommt nie das Gefühl auf, dass man all das schon hundertmal gehört hat.
Titel wie der des treibenden “Venus Shrugged” lassen schon den thematischen Rahmen anklingen, bei dem es immer wieder um den Kampf der Frau um die Selbstdefinition jenseits herkömmlicher Gewohnheitsmuster geht, und in dem von wütenden Verwünschungen getriebenen “Out 2 Get U”, das zwischen Industrial und Electroclash changiert, wird den Emotionen freie Fahrt gewährt und den Ressentiments gegen die Aufschreie in der Ära nach dem Weinstein-Skandal eine kräftige Ladung Hass entgegen geschleudert.
Ähnlich wie bei Power Electronics sollte diese Musik bedingt als Meinungsäußerung betrachtet werden – bedingt deahalb, weil sie bei aller Stärke der Positionen Kunst, und nicht Manifest ist. Viel mehr noch sollte sie als Ausdruck starker Empfindungen und Anstoß zu kritischem Hinterfragen von Gewohnheiten vertanden werden. In diesem Sinne funktioniert die Musik Bloom Offerings ausgesprochen gut, und mit der ersten LP sollte ihr ein Schritt in weniger obskure Gefilde sicher sein.
Label: The Helen Scarsdale Agency