Als David Tibet und Steven Stapleton vor etlichen Jahren eine gemeinsame Ausstellung ihrer visuellen Werke im Londoner Horse Hospital hatten, wurde eine Doppel-CD veröffentlicht, auf der Musik für die Ausstellung zu finden war. Stapleton überarbeitete später den lapidar „Salt“ betitelten Track, und daraus wurde als „Salt Marie Celeste“ sicherlich eine der stärksten Veröffentlichungen Nurse With Wounds; der Current 93-Beitrag war ein weitgehend instrumentales kammermusikalisches Stück aus Harmonium, Klavier und Geige, das als Begleitmusik zur Ausstellung und als Intromusik zu Auftritten sicher gut funktionierte, als eigenes Werk aber etwas zu ereignisarm war.
Nun erscheint unter dem Titel „Invocations Of Almost“ die Musik, die während Tibets umfangreicher Einzelausstellung in Kalifornien in der Begovich Gallery lief/läuft. Man könnte also denken, dass diese (Hintergrund-) Musik letztlich primär funktional ist und es sich weniger um ein autarkes Werk handelt, allerdings ist “Invocations Of Almost” – was sich schon im Plural der titelgebenden “Anrufungen” andeutet – heterogener angelegt als z.B. die Horse Hospital-Veröffentlichung: Auf neun Stücken wird u.a. Material des letzten Albums be- und verarbeitet – oder wie es in Tibets ganz eigener Diktion heißt, das Album enthalte „music from her FuturePast and her PastFuture”. Tatsächlich finden sich Elemente des letzten hervorragenden Studioalbums „The Light Is Leaving Us All“ sowohl auf textlicher als auch auf musikalischer Ebene, so z.B. auf dem das Album eröffnenden sakralen Dronestück (alle Tracks sind unbetitelt), das an den Opener des letzten Albums anknüpft. Das ist ein somnambuler Einstieg, der bedingt schon die Ausrichtung der restlichen Stücke vorgibt. Auf dem zweiten Track rezitiert Tibet zu Orgel, Klavier, Vogelzwitschern und Knarzen: „You became ghost so suddenly“; „black masks“ und “broken faces“ tauchen auf. Auf dem dritten Stück wird Tibets flüsterternde Rezitation von Drones untermalt. Vereinzelte Pianofiguen dominieren Teil vier. Ein dunkler Track ist das dann folgende, auf dem zu Drones ein apokalyptisches Szenario entworfen wird. Es fällt die Frage: “when the dead return, what do they wear”, “everything is red”, “signs and more signs“ tauchen auf und „ten thousand dead witches“ finden sich. Der aus sakralen Choralelementen bestehende sechste Track kommt ohne Text aus. Teil sieben beginnt mit einer Spieluhr und es finden sich (Leit-)Motive des letzten Albums (“the birds are slowly singing”, “a thousand witches”). Acht ist dagegen ein ruhigeres ambientes Stück, bevor das Album mit Stimmengewirr ausklingt und an “In Menstrual Night” denken lässt.
Fast allen Stücken auf „Invocations Of Almost“ wohnt etwas (Alp-)Traumhaftes inne, und insofern erinnert es von der Stimmung zum Teil an „The Stars On Their Horsies“. Alles in allem ist es definitiv mehr als nur reine Begleitmusik und kann durchaus auch als eigen(ständig)es Werk bestehen, das man vielleicht mit besonderem Vergnügen in den Zeiten abnehmenden Lichts hören möchte. (MG)
Label: The Spheres