Elektronische Musik, die clubtaugliche Eleganz mit einer urwüchsigen Archaik verbindet, welche sich nicht nur rein abstrakt in jedem hypnotischen Rhythmus finden ließe, gibt es viel zu selten – nicht weil kein Publikum dafür existierte, sondern weil viele Musiker zu sehr den Beschränkungen einzelner Subkulturen verhaftet sind. Taucht man etwas tiefer in die Materie, findet man natürlich immer wieder zum Teil obskure Ausnahmen, und neben einigen Acts auf Yerevan Tapes machte in diesem Kontext seit Jahren v.a. die in Moskau lebende Producerin Lusia Kazaryan-Topchyan mit ihrem Projekt Margenrot von sich reden.
Auf ihrer Debüt-EP “Zangezur“, die manch älterer und elitärerer Zeitgenosse minimal in die Länge gezogen und als LP verkauft hätte, widmete sich die Musikerin einem Stoff aus der Geschichte ihres Herkunftlandes Armenien und ließ auch auf musikalischer Ebene eine Menge Folkloristisches, Liturgisches und sonstige Klänge aus dieser Tradition in ihren rituellen Sound einfließen, der trotz zahlreicher Anleihen beim Post-Industrial kein abgegriffenes, sondern ein im besten Sinne stylisches Dunkel verströmt.
Erfreulicherweise hat sich Margenrot auf ihrem kürzlich erschienenen Longplayer “Obkhod” nicht komplett neu erfunden, sondern den Stil des Vorgängers weiter ausgebaut. Mehr als zuvor sind es die pulsierenden Rhythmen, die zwar immer neue Gestalt annehmen, einen aber doch wie ein verlässlicher roter Faden durch weite Teile des Albums geleiten. Im eröffnenden “Nazali” führen sie durch ein anorganisches Wald- und Sumpf-Setting voll quakender und piepender Tierstimmen und geben der Szene zusammen mit den von zackigen Trommelwirbeln flankieren Gesängen einen rituellen Touch. In “Oborona 2000″ nehmen sie die Gestalt metallischen Schepperns an und führen durch eine bedrohliche Hörspielwelt, der erst die wehmütige Melodie der Synthies ein wenig von ihrer Düsternis nimmt. In “Signal” führen sie durch eine weiträumige Halle voller Stimmen und Echos, in “Sedation”, wo sie in monumentaler Wucht auf den Plan treten, kapitulieren sie dagegen vor der titelgebenden Entschleunigung und enden im eiernden (und vielleicht befreienden) Chaos.
In “Bitumen Poem” drängen die Rhythmen elektrifizierte Zikaden in den Hintergrund und schaffen Raum für eine traurigschöne Melodie auf der Duduk, einem u.a. in Armenien verbreiteten Blasinstrument, das den Schalmeien verwandt ist, aber weitaus fragilere Klänge hervorbringt. Sounds wie diese, die man hierzulande gerne verallgemeinernd als “orientalisch” klassifiziert, bilden eine weitere Säule der Musik, wobei bisweilen nur Fragmente eines bestimmten Instrumentenspiels zu hören sind, die aber ausreichen, um wie im Titelstück all das düstere Wummern und Rumoren zu verzaubern.
Laut Liner Notes bezeichnet das titelgebende russische Wort Обход (bzw. in westlicher schreibweise Obkhod) eine Art Entfesselungskunst, ein Ausweichmanöwer, um unnötige Schwierigkeiten und feindselige Konfrontationen zu umgehen, eine Handlung, die durchaus Tricksereien beinhalten kann, wenn man Gefahr läuft, selbst ausgetrickst zu werden. Ich weiß nicht, ob das Wort nur positiv oder auch in einem abwertenden Sinn verwendet wird, und sicher ist es nicht dazu geeignet, in einfacher Analogie auf Machart und Stimmung der Musik angewandt zu werden. Trotzdem wirft es ein wenig Licht auf das stets dynamische Verhältnis von (niemals nur) harschen und (niemals nur) schönen Aspekten der Musik, die vom verrauscht-noisigen Abzählreim in “Odnogolosii 2.0″ bis zur Entrücktheit von “Acceptance” eine große Bandbreite abdeckt. (U.S.)
Label: Klammklang Tapes