FABRIZIO MODONESE PALUMBO: Crinkle Crankle Wall

Wer sich in den Irrgarten von Fabrizio Modonese Palumbos “Crinkle Crankle Wall” begibt, sollte sich möglichst gleich zu Anfang von der Illusion verabschieden, sich darin orientieren und eine optimale Richtung ausmachen zu können, denn Überraschungen und spontane Kehrtwenden lauern dort an jeder Wegkreuzung.

Beim Auftakt “Projet H”, der als kaputtes Freakout mit kratzigem Lärm und ausgelassenen Drums beginnt, fühlen sich wahrscheinlich alle, die dezente Dröhnung erwartet hatten, im falschen Film. Wer mit Palumbos Projekt (r) vertraut ist wundert sich vielleicht weniger über die fast an Crust Black Metal erinnernden ersten Minuten, die nur respektlose Solisten so hinbekommen. Schrilles surreales Tremolieren leitet über in ein Szenario aus einem sumpfigen Erdzeitalter, in dem diverse Gitarrenparts, eine Spieluhr und urige rituelle Rasselperkussion für die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen sorgen.

Dieser erste Track hätte mit nur wenig mehr eine veritable EP abgegeben und ist auch stimmungsmäßig eine Berg- und Talfahrt, bei der aber ein gewisser Stoizismus den Ton angibt. Dieser weicht im folgenden “I Vecchi Omosessuali” der getragenen Schwermut nur leicht melodisch angehauchter Rezitation, bis deren klagend-dröhnende Kulisse die Bühne einnimmt und sich gegen Ende noch einmal zu einer verzerrten Soundwand aufbäumt. Klingt so die faltige Wand aus dem Albumtitel, die droht, in ihre Bestandteile zusammenzufallen, bevor sie zu ihrem eigenen Monument wird?

“Crinkle Crankle Wall” hat eine Spieldauer von rund 80 Minuten, und man könnte viel zu den einzelnen Tracks und ihren internen Verzweigungen sagen, an deren Gestalt vereinzelte Gäste als Performer und Remixer mitwirken. Zum vordergründig unscheinbaren Wohlklang des zwiespältigen Lullabys “Everything Must Go” mit seinem unterschwelligen Brodeln und der Melodie, die etwas zu entrückt ist um nur schön zu sein. Zur bedrohlichen Wucht des live aufgenommenen “Panorama Paradise”. Zum mit einem gemurmelten Mantra eingeleiteten “Exorcism”, dessen kernige Drones sich immer mehr aufblähen. Zu den cinematischen “San Lupo”-Stücken, die eine Heterotopie für sich aus Synthies und Strings bilden. Zum knarrenden Hantieren vor einer Soundkulisse der Natur in “Torino Exotica”, das im Nutria Mix vorliegt – ich vermute dahinter Coypu, Palumbos Projekt mit Ben Chasny und Daniele Pagliero, denn beide Namen stehen für die Bisamratte.

In seiner Gesamtheit wirkt “Crinkle Crankle Wall” fast wie ein Ideensteinbruch, aus dem manch einer mehr als nur ein Release gemacht hätte, und vielleicht sollte man die vorliegende Musik tatsächlich wie den zugänglichen Teil eines viel größeren unterirdischen Ideenkosmos betrachten, zu dem man wie bei Kafkas Bau durch verschiedene Einfallstore Zugang findet, und der sich doch nie ganz erschließen lässt. (U.S.)

Label: Chiærichetti Æditore Ræcordings