Die drei Schotten Alan Davidson alias Kitchen Cynics, Margery Daw und Grey Malkin sind mittlerweile fast so etwas wie ein eingespieltes Trio, und so entpuppt sich der aktuelle Longplayer – ein Tape, das das Attribut “long” tatsächlich verdient – “To The Green Round” als eine stimmige Mixtur aus avantgardistischem Folk, entrückten Klangtexturen und leiser, teils verstörender Magie, die sich über sechzehn Stücke hinweg entfaltet. Unterstützung holten sie sich bei Musikerinnen und Musikern, die verschiedene Instrumentalparts beisteuerten: Mayuko Fujino, Pat Gubler, Richard Price, Jan Stewart.
Stilistisch und atmosphärisch führt “To The Green Round” durchaus den Weg des im vorigen Jahr erschienenen Vorgängers der drei Musiker fort. Bereits der Auftakt mit “Ghosts Walk Through You”, das behutsam beginnt und einen doch gleich in die Mitte des Geschehens zieht, markiert einen erstes Höhepunkt. Die fragile, immer leicht brüchige Stimme Davidsons entfaltet eine eigenartige Intensität, als sänge er durch kaum greifbare Widerstände hindurch. Gitarren und verschiedene folkige Klänge begleiten ihn, eine entrückte Zither setzt helle Akzente, während schicksalsschwere Basslinien eine tiefere, dramatische Schicht andeuten. Das Motiv der nach London fliegenden Vögel verleiht dem Stück eine zarte Bildhaftigkeit, bleibt aber mehr andeutendes Symbol als konkrete Erzählung. “Observations From A Window” verstärkt diese Grundstimmung noch. Tiefe, dröhnende Klangschichten und helle Psalterium- und Klarinettenverzierungen eröffnen ein Panorama, das keine Flucht ins Erhabene kennt, sondern alles umfasst: Leichtigkeit und Schwere, Licht und Staub. Margery Daws helle Stimme fügt sich dabei nahtlos ein und entfaltet eine Wirkung, die durch ihre Schlichtheit berührt.
Mit “Spoon Ra”, das mich wegen des Titels an Coils “Sex With Sun Ra” denken ließ, tauchen die drei in eine deutlich surreale Klangwelt ein. Blubbernde, organisch anmutende Klänge und ein zunehmend hektischer werdender Aufbau lassen eine zwiespältige Atmosphäre entstehen, die sowohl Abenteuerlust als auch eine kaum greifbare Beklemmung transportiert. Hier blitzt eine Ästhetik auf, die an frühe Werke der Kitchen Cynics erinnert. “Wayland’s Smithy” gehört zu den besonders anrührenden Momenten des Albums. Eine sanfte Gitarrenmelodie, begleitet von Möwenrufen und cinematischen Synthieschichten, bereitet den Boden für Margerys Gesang. Der Song, der sich thematisch auf die Legende von Wieland dem Schmied bezieht, entfaltet eine fragile Schönheit mit mehr als nur vagen rituellen Untertönen.
“Jock Sheep” knüpft an diese melancholische Stimmung an: Davidsons Stimme, sanft begleitet von elektrischer Gitarre, bleibt brüchig und verletzlich, während unterschwellige Klangverdichtungen eine zunehmende Dunkelheit heraufbeschwören. “Bridport Bells” ist eine weitere Wegmarke des Albums. Aus einem sakral eingefäbten Auftakt mit schwerem Glockenläuten entwickelt sich langsam eine elektroakustische Struktur, die Assoziationen an die deutsche Avantgarde der 70er weckt. Margery Daws melancholisch eingefärbte Verse verzaubern das Stück irgendwann und lassen einen kurzen Moment des Glücks aufscheinen, das sich – auch – in den heller bimmelnden Glöckchen offenbart. Eine komplette Inversion von E. A. Poes berühmten Gedicht “The Bells” geschieht hier dennoch nicht, denn in den hellen Glöckchen ist der schwere Sound ihres dunkleren Pendants immer noch herauszuhören. Das textlich auf Geoffrey Chaucers “Knight’s Tale” basierende “Consumption” arbeitet erneut mit verfremdeten Klängen: Wellenartig anrollende, brandende Elemente voll verzaubertem Bimmeln und eine Anne Clarke-Erinnerungen wachrufende Rezitation Margery Daws lassen eine gespenstische Szene entstehen, die ein Bild von verborgener Gefahr unter scheinbarer Schönheit heraufbeschwört.
Im Mittelteil des Albums sorgen Stücke wie “Chalkpit” und “A Solitary Whooper Swan” für verträumt-verschwommene, impressionistische Momente. Letzteres, komponiert von Gastmusikerin Mayuko Fujino, bietet eine feingliedrige Klangtextur, die jedoch kleine dramatische Wellenbewegungen enthält, für jene, die aufmerksam hören. “Line Or Threshold”, ein weiterer hervorstechender Moment, zeigt in minimalistischer Besetzung mit Piano, Flöte und Alan Davidsons Stimme eine fast kammermusikalische Kunstlied-Qualität, bevor sich das Stück mit dem Einsatz des Psalteriums weiter öffnet.
Mit “Who’s Calling?” wird die Atmosphäre spürbar verwunschener: Seltsame, geisterhafte Stimmen und ein verwobenes Klanggewebe schaffen einen Zustand zwischen Traum und Spuk. “Jack Stagg” wiederum lässt mit dunklen, entrückten Tönen und elektrischer Gitarre fast die Stimme eines Geistes sprechen – aber wer weiß, vielleicht sind diese spukhaften Assoziationen auch nur Projektionen des Rezensenten, genährt durch den lose auf einen Roman von Arthur Machen referierenden Albumtitel oder durch die Erinnerung an frühere gemeinsame Aufnahmen v.a. von Malkin und Cynics? Die traditionelle Music Hall-Ballade “She Was Poor” wird von Margery in einer lakonisch-bitteren Weise interpretiert. Die dissonanten Klänge unterstreichen die grausame, bizarre Ungerechtigkeit, die der Geschichte einer verstoßenen jungen Frau, der die Affäre mit einem reichen Mann zum Verhängnis wurde, zugrunde liegt.
Das folgende “Karvansara” ist eine kurze, aber einprägsame Klangminiatur mit Glocken, Summen und schalmeiartigen Elementen, die eine tatsächlich “orientalische” Assoziation aufkommen lassen. Zum Abschluss kehrt “Balgarrie” mit seinem pastoralen Fingerpicking und entrückter Traurigkeit noch einmal deutlicher zur schottischen Tradition zurück bietet einen stillen, dunklen Ausklang für ein Album, das bei aller Vielheit stilistischer und lyrischer Details ein nie disparat wirkendes Bild eines letztlich mehr imaginären denn geografischen Raumes, seiner durchlässigen Strukturen und seiner ganz eigenen Geschichten von Magie, Kostbarkeit, Dunkelheit, Verlust und Unbeständigkeit zeichnet. (U.S.)
Label: Cruel Nature Records