MAI MAI MAI: Petra

Als Toni Cutrone alias Mai Mai Mai vor ein paar Jahren im Umfeld des römischen Experimental-Underground auftauchte und zu seiner musikalischen Reise durch ein mediterranes Altertum aufbrach, konnte man das ganze noch als liebenswürdiges Fake betrachten, war die verspielte und zugleich kühl-analoge Musik doch recht nah an damals gerade gehypter Retro-Electronik Marke Chill Wave angesiedelt, und die Oddysse durch das östliche Mittelmeer als Hintergrundgeschichte klang verdächtig nach einem Nerd, der gerade in seinen verblassten Erinnerungen an den Griechisch- und Lateinunterricht herumkramt.

Nachdem nun nach „Theta“ (Boring Machines, 2013) und „Delta“ (Yerevan Tapes, 2014) das (abgesehen von einer Split mit Lunar Lodge) dritte Werk des Römers draußen ist, hat sich das Puzzle schon merklich vervollständigt. In der Zwischenzeit beteiligten sich verschiedene Gäste an dem Projekt und variierten das Klangbild in eine organischere Richtung, der Inhalt bekommt mehr und mehr Konturen und irgendwann fragte man sich, ob all dies nicht doch von echten Obsessionen kündet. Immer wieder bildet das Meer mit seiner Weite und Tiefe und all seinen Gefahren den symbolträchtigen Hintergrund von Cutrones musikalischen Irrfahrten, und stets ist es ein vage gefasster Ort, der das Zentrum des Geschehens bestimmt.

Für den Rahmen ist bei Cutrone natürlich ein Blick in die jeweiligen Booklets mit Bildern und Texten notwendig. Aus den Andeutungen erfährt man, dass an es sich bei den imaginären Plätzen um Durchgangsorte handelt, an denen eine schemenhafte Rite de Passage stattfindet und die Geschichte ihre zentrale Wendung nimmt. Das Setting in neuen Album „Petra“ (gr. „Stein) ist ganz von derjenigen Materie geprägt, die dem maritimen Element am gegensätzlichsten ist, doch gibt es kaum einen maritimen Mythos ohne zerklüftete Meerengen und mit Schotter übersähte Strände, ohne rettendes Festland und Felsen, die die Gefahr noch verstärken und Monster wie Skylla und Charybdis beheimaten.

Die visuelle Seite des zwölfseitigen Booklets zeigt Cutrone erneut in der Rolle als Reisender, der stets maskiert oder mit verstecktem Gesicht auftritt, wie um sich als altertümlicher Everyman zu inszenieren, aber wer weiß das schon. Wie bei früheren Fotoillustrationen verschwindet der Held hinter den Gegenständen, und da es diesmal Steine sind, verschmilzt er noch deutlicher als zuvor mit dem kargen, zerklüfteten Raum, der der eigentliche Protagonist der Bilderserie ist. Man könnte hier theoretisch die Brücke zur Musik schlagen, freilich mit dem Einwand, das die Auflösung des Menschen und seiner Stimme im Mosaik aus entsubjektovoerten Klängen in noisiger Electronica keine Ausnahme darstellt.

Eine deutlichere Brücke vom Visuellen zum Auditiven bildet die Tatsache, dass „Petra“ das klanglich bislang härteste und trockenste Album des Zyklus ist. Es kommt ohne die geschmeidigen Klarinetten und Orgeln des Vorgängers aus und knüpft mít kühlen Sounds und abgehackten Rhythmen wieder mehr ans Debüt an, nur die flächige Grundstruktur der Kompositionen verhindert, dass sich hier ein simpler Kreis schließt. „Bassae“ ist purer Lärm und entwickelt sich über einen Zeitraum von zehn Minuten zu einem gespenstischen Rhythm Noise, das zentrale Titelstück verknüpft unaufgeräumt klappernde Perkussion mit psychopathischen Samples und taucht die Szenerie in eine rituelle Atmosphäre, die Vermählung flüssiger und knochentrockener Materie gelingt dann im von Field Recordings beherrschten „Pelagos“ mittels eines harmlos wirkenden Rinnsals, dass sich einem kleinteiligen Split- und Steinchaos mehr und mehr bemächtigt.

„Petra“ ist ein weiteres Kapitel dieser geheimnisvollen Formation, bei der man nie weiß, ob es sich doch nur ein gekonnter Spaß mit vermeintlich Bedeutsamem handelt, und liegt 400 einseitig bespielten Picture-LPs vor.

Label: CORPOC