Es gibt das schöne Bonmot, dass jemand, der sehr wohlhabend und psychisch derangiert ist, exzentrisch sei, jemand, der ein wenig Geld besitzt und die gleichen Symptome aufweist, sich in ein Sanatorium begibt und jemand, der mittellos ist, im Irrenhaus landet – was deutlich macht, wie sehr Kategorisierungen von psychischen Erkrankungen (auch) von der sozio-ökonomischen Situation abhängen.
Mit „Snowdrops From a Curate’s Garden“, einem 2011 während des Berliner Kalyug Festivals aufgenommenem Livealbum, hat das insofern zu tun, als dass John Murphy, Jon Evans und Julian Percy sich mit einem weniger angenehmen Kapitel englisch-australischer Geschichte beschäftigen, nämlich mit den Irrenanstalten – eine andere Bezeichnung wäre den Gegebenheiten kaum angemessen – in Kew und Beechworth, situiert auf dem Kontinent, auf den das erste Last Dominion Lost-Album im Titel anspielt und auf dem sich das Geburtsland der drei Musiker befindet. An diesen Orten rekrutierten sich die Insassen oftmals aus den Misshandelten und Marginalisierten. Die unheilvolle Evolution des Umgangs mit den dort Eingesperrten wird auf der Website des Labels mit der wenig erquicklichen Trias „from incarceration over therapeutic occupation to, ultimately, medication“ beschrieben.
“Snowdrops…“ wurde also vor dem 2014 veröffentlichten „Towers of Silence“ aufgenommen, ist musikalisch dennoch eng mit diesem verknüpft, zeigt es doch Last Dominion Lost weniger als Projekt denn als Band; und zwar eine Band, die es schafft, eine moderne Form klassischen Industrials zu spielen. Die unangenehme, unruhige Atmosphäre, die alle Stücke durchzieht, mag man sowohl als Illustration der katastrophalen Bedingungen, unter denen die Insassen lebten, lesen als auch als eine Widerspiegelung der inneren Verfassung, den Auswirkungen dieser Orte auf die Psyche der Einzelnen.
Es ist schon öfter, nicht nur, aber sicher auch wegen personeller Überschneidungen auf die (frühen) SPK verwiesen worden, die sich natürlich auch von Anbeginn mit gesellschaftlichen Konstruktionen psychischer Erkrankungen beschäftigt haben und mit Antipsychiatrie. Aber natürlich erinnert auch die Musik an die „Surgical Penis Klinik“. Einige der Stücke könnte man sich auch durchaus auf „Information Overload Unit“ vorstellen, wenngleich weniger als Anknüpfung an rabiate Stücke wie „Berufsverbot“, denn Last Dominion Lost spielen atonale Musik, die nicht notwendigerweise dem Motto „Wollt ihr die totale Transgression?“ folgt, wobei „Speed Racer“ eine durchaus drastische Nummer aus Hochfrequenzen, Störgeräuschen und merkwürdigsten Stimmen ist. Der Rest des Albums ist dann aber zurückltender. Die von John Murphy gespielte rituelle Perkussion lässt einen sofort an unter anderen Projektnamen, deren Zahl Legion ist, veröffentliche Musik des jüngst Verstorbenen denken. Das passend betitelte „Ritual in the Dark“ oder etwa “Shell in the Chamber” kombinieren Stimmen mit vermeintlich erratischer Perkussion, auf „Junk DNA“ und „Erbkrank“ scheinen Menschen zu stammeln, verfremdete Stimmen setzen ein. Das das Album abschließende “Perdue” ist fast schon eine Art atonaler, analoger Ambient. Dieses vermeintlich poetisch betitelte Album ist ein großartiges Dokument, das zeigt, wie Industrial im Jahr 2015 klingen kann. (M.G.)
Label: The Epicurean