Marc Almonds neues Album “I’m Not Anyone” knüpft an seine lange Tradition an, Songs mit einer ganz persönlichen Note neu zu interpretieren, ohne dabei ihre grundsätzlichen Charakteristika allzu stark zu verändern. Schon immer hat Almond mit seinen Coverversionen auch weniger bekannte Stücke ins Rampenlicht geholt und ihnen damit im besten Fall neues Leben eingehaucht. Diese Fähigkeit beweist er erneut auf seinem ersten Coveralbum seit “Shadows And Reflections” (2017), das bereits im Sommer herauskam. Dabei bleibt er auch seinen breitgefächerten musikalischen Interessen treu, die von französischen Chansons über populäre russische Musik bis hin zu Northern Soul und überhaupt verschiedener Musik der 60er Jahre reicht (wozu auch immer wiederd Gedichtvertonungen von Stenbock über Crowley bis zu Jean Cocteau und Jeremy Read kommen).
Der Albumtitel “I’m Not Anyone” greift den Hit Paul Ankas auf, dessen Interpretation gewissermaßen das Zentrum des Albums markiert: Der Song ist eine kraftvolle, mit viel Emotion vorgebrachte Hymne an Individualität und Freiheit, unterlegt von opulenten orchestralen Arrangements. „Ich bin nicht irgendwer“, verkündet Almond, während Streicher und Bläser eine filmische Atmosphäre schaffen, und erinnert daran, sich nicht mit dem bloßen Dahinleben abzufinden – ein zentrales Motiv, das sich durch viele seiner Interpretationen zieht, man denke z.B. an das Aznavour-Cover “I Have Lived”.
Almonds anscheinend niemals alternde Stimme bleibt so wandelbar wie eh und je, ob bei epischen Stücken wie dem bluesig eingefärbten “I’m The Light” (im Original von den Doom-Pionieren Blue Cheer), dessen lyrisches Ich den angesprochenen anderen zu sanften Gitarren zum Bleiben überredet, oder bei dem fast folkig startenden und schnell zu einem eingängigen Popsong mutierenden “Reflections Of My Life” von der heute eher vergessenen Popgruppe Marmalade, das mit einem Hauch von Wehmut an vergangene Tage erinnert. Mit Backgroundchor, anrührenden Streichern und dem einen oder anderen soliden Gitarrensolo strotzt der Song vor Ideen und demonstriert ein weiteres Mal Almonds Liebe zu den Kleinodien aus der popkulturellen Schatzkammer. Ein besonderer Höhepunkt ist das exaltierte “Gone With The Wind (Is My Love)”, das mit aufrüttelnden Synthies beginnt und in einen soullastigen Uptempo-Track mit lauten Gitarren übergeht. Die Geschichte einer Liebe, die sich als vergeblich erweist, wird von Almond mit einer eindringlichen Dramatik dargeboten, die Molltöne mit Uptempo verbindet und textlich an seine besten Brel-Coverversionen erinnert, der bittersüß gefärbte Wunsch nach Rückkehr der verlorenen Person ist ein oft wiederkehrendes, geradezu archetypisches Motiv Thema bei Almond. Besonders interessant ist auch das Fans zwangsläufig an einen Vers aus “If You Go Away” erinnernde “I Talk To The Wind”, bei dem Ian Anderson von Jethro Tull mit seiner Querflöte zu Klavierbegleitung dem King Crimson-Klassiker eine neue, kammermusikalische Note verleiht. In Kombination mit Almonds Stimme entsteht ein lange nachhallender Earcatcher.
Eine Überraschung bietet das bossa-nova-artige “Elusive Butterfly”, ein Song, der einen mit seinen nostalgischen Backing-Vocals und seinem ganz eigenen Groove sofort in einen Tanzclub der 60er versetzt, der – dafür ist das ganze Szenario zu wehmütig – nicht wirklich an die Coppa Cabana passen würde, aber dank seines filmischen Kolorit allemal an die Côte d’Azur. Der Text erinnert an die zärtlichen Worte eines geisterhaften Liebhabers, der die geliebte Person als schmetterlingshafter Wiedergänger heimsucht. Die größte emotionale Tiefe erreicht das Album aber in den eher düsteren Stücken. “Smokey Day”, ein Duett mit Bryan Chambers und im Original von dem hierzulande eher wenig bekannten Sänger Colin Blunstone, zieht alle Pathosregister und baut eine musikalische Spannung auf, die von tiefen, pulsierenden Celloriffs und dramatischen, in lichte Höhen schießenden Violinen untermalt wird. Ebenso beeindruckend ist “Trouble Of The World”, eine Coverversion von Mahalia Jackson, die mit dunklen Klavierakkorden und einem summenden Backgroundchor die letzten Dinge und das Loslassen in Szene setzt. Diese berührende Interpretation könnte genauso gut aus dem Repertoire von Anohni stammen und gehört zweifellos zu den Höhepunkten des Albums.
Auch “Chain Lightning” sticht als eines der stärksten Stücke heraus. Der Song, im Original Ende der 70er von “American Pie”-Sänger Don McLean III herausgebracht, entfaltet sich langsam, beginnt mit monotonem Gitarrenstrumming und explodiert dann förmlich in einem orchestralen Blitz, der die Einsamkeit einer in Schwarz getauchten Welt ohne Sound in Liebe verwandelt. Der gospelhafte Chor im Hintergrund verleiht dem Stück eine schwülheiße Americana-Atmosphäre, die wie eine Zeitreise in frühere Epochen des Country und Blues anmutet, und vielleicht ist das Stück so kurz vor dem Ende des Albums tatsächlich sein eigentlicher Höhepunkt. Der Abschluss des Albums, “Lonely Looking Sky”, eine Neil-Diamond-Coverversion, zieht mit seiner berührenden Melodie einen wehmütig versöhnlichen Schlussstrich unter dieses beeindruckende Werk.
“I’m Not Anyone” bietet die Möglichkeit, großartige emotionale Songs kennenzulernen, die von Almonds exquisitem Geschmack und von seinem Gespür für musikalische und textliche Tiefe getragen werden. Dabei beeindruckt es umso mehr, dass er die Stücke bewusst nicht allzu sehr verändert und ihnen keinen forcierten eigenen Stempel aufdrückt. Vielmehr lässt er den Songs ihren Raum, sich zu entfalten und zu strahlen.
Label: BMG / Warner