MARC ALMOND: Shadows and Reflections

Wenn ein Popstar oder Musiker mit einer bestimmten Zeit in Verbindung gebracht wird, dann sind es meist die Jahre, in denen er zum ersten mal von sich hören macht und seine ersten Hits abliefert, im Falle Marc Almonds sind das also die frühen und mittleren 80er. Wer sich mit dem Stil seiner Songs, auch schon in der damaligen Zeit, etwas eingehender befasst, und im Fall der nicht wenigen Coverversionen mit deren Vorgeschichte, stößt jedoch unweigerlich auf die Sixties. Viele seiner Hits stammen ursprünglich aus dieser Ära, sein Hang zu orchestralen Arrangements und zu chansonartigen Torch Songs verweisen auf das Swinging London, die großen Tage der Music Hall und die Klassiker des Motown-Labels.

Was man selbst in vielen Soft Cell-Stücken heraushören konnte und was auf späteren Alben wie „Stardom Road“ und „The Velvet Trail“ (besonders im großartigen Cover von „I Close my Eyes and Count to Ten“) schon stilprägend war, wird auf „Shadows and Reflections“ nun Programm. Begonnen hatte alles vor ein paar Jahren mit der Idee, eine Konzerttour mit Orchester zu bestreiten, und als zusammen mit dem Komponisten John Harle bereits der Song „No-One to Say Goodnight to“ entstanden ist, keimte immer mehr die Idee für eine Reihe an Coversongs und später für ein Album, das einem konkreten Konzept folgte.

Almond erzählt in einem Interview, dass „No-One to Say Goodnight to“ von den zahlreichen Luxus-Appartments inspiriert war, die seit einigen Jahren über den Dächern von London wuchern. Er fragte sich, wer wohl in diesen Wohnungen leben mag und stellte sich einen reichen, aber einsamen Menschen vor, der auf der Dachterasse den Erinnerungen an ein gescheitertes Leben nachhing, den geplatzten Seifenblasen der Liebe, die auch die luxuriöseste Penthouse-Wohnung nicht kompensieren kann. In Almonds Idee spielte der gealterte, von Leben enttäuschte Nihilist abends seine von der Welt zum Teil vergessenen Lieblingsplatten, die aus einer Zeit stammen, als er noch an etwas glaubte, und die doch schon auf die Wehmut seiner späten Tage vorausweisen. Und so sammelten sich nach und nach vierzehn Songs an, die auf dem Album dem finalen „No-One to Say Goodnight to“ vorangehen. Benannt wurde die Sammlung nach einem Song von The Action, der selbstverständlich mit dabei ist.

Herbstlich, blumig, aber auch auf eine seltsam beschwingte Art heiter, enthält die stimmungsvolle Ouvertüre im Kleinen schon die Grundstimmung des Albums, die eine barocke, stylische Welt aufleben lässt, die an die Giallo-Scores von Morricone und Bruno Nicolai, aber auch an die verwegene Mod-Szene im London dieser Zeit erinnert – immer mit etwas orchestralem Zuckerguss und säuselnden Frauenchören angereichert, die das Ganze zu einem ästhetisierten Fest der Empfindsamkeiten machen. Aus einigen der folgenden Stücken sind typische Almondsongs geworden, allen voran das das emotional aufwühlende „Interlude“ (im Original von der Amerikanerin Timi Yuro), das die Liebe trotz ihrer Vergänglichkeit als ewigen Jungbrunnen feiert, oder die Interpretation von Billy Furrys weniger illusionärem Rhyhtm and Blues-Hit „I’m Lost Without You“, in dem noch viel 50er-Jahre-Pathos steckt. Ganz vorn mit dabei der schmachtend morbide Torch Song „Embers“ aus Almonds eigener Feder, der sich jedoch nahtlos in die Sammlung einreiht.

Doch nicht alle der Songs sind pure Kopfhängerei, es findet sich eine tänzelnde Eleganz, eine wie ein kostbarer Schatz gehegte Leichtigkeit in „How Can I Be Sure“, in dem The Young Rascals (und später David Cassidy) der Sehnsucht nach einem Anker in einer unzuverlässigen Wirklichkeit Ausdruck verliehen, der Titelsong hat auch in Almonds Version eine Menge an Swinging London mit Handclaps, Harpsichord und allem, was dazu gehört. Der Groove in Bobby Darins „Not for me“, die zackigen Streicher und die Rock’n'Roll-Spuren wirken fast sarkastisch angesichts der abgeklärte Klage eines, der in allem leer ausgegangen ist. Gefasster, frei von jeder Sentimentalität und einer der Hits des Albums ist „Still I’m Sad“, das sehr nah am Original der Yardbirds bleibt.

Mit den Songs anderer seine eigene Geschichte erzählen – Marc Almonds Stärke war das schon immer, und mit seiner Mischung aus Glamour und Bescheidenheit hatte er dazu auch schon immer die passenden Voraussetzungen. Diesmal ist eine Charakterzeichnung daraus geworden, die Geschichte einer Person, die sich – anders als Almond selbst – nur heimlich, in den eigenen desperate hours, seine Schwächen eingesteht: sein vergebliches Schmachten, seine wehmütigen Fragen wie “Where did our Love go?”, seine Flucht vor der Abhängigkeit, der Almond ein weiteres mal eine Stimme verleiht.

Ganz abgesehen davon ist „Shadows and Reflections“ aber auch das Monument einer Ära, und welcher Sänger, der älter ist als die Last Shadow Puppets, hätte das noch so unverfälscht hinbekommen? Marc Almond, der Zeilen wie „Time is like a dream / Let’s hold fast to the dream / That tastes and sparkles like wine“ heraushaut, und sich schon deshalb nie verhipstern ließ, ist wie niemand sonst dazu berufen. (U.S.)

Label: BMG