GERÖLLGERÄTE: Emmenhausen

Mein geschätzter Großvater war mit seiner Popkritik ganz auf der gängigen Frankfurter Linie. Generell kein Freund ausufernder Diskussionen, beschränkte sich sein Beitrag allerdings auf das Statement, dass er die Rolling Stones gerne einmal mit den Flying Stones bekannt machen würde. Dass ich mir das noch in den 90ern anhören durfte, geht rückblickend in Ordnung und ist ohnehin ein anderes Thema. Aber Geröllgeräte hätte er sicher gemocht.

Geröllgeräte, das sind erst einmal eine Menge Fakten, die geklärt werden müssen. Die Vor- und Frühgeschichte versteht unter Geröllgeräten die ersten menschlichen Werkzeuge, die im Paläolithikum aus kaum mechanisch bearbeiteten Steinteilen „gefertigt“ wurden, da sie sich von ihrer natürlichen Form und Beschaffenheit her für bestimmte Funktionen eigneten – gewissermaßen die ersten Readymades der Kulturgeschichte. Unter dem Begriff Geröllgeräte firmieren derzeit aber auch Christoph Petermann und Hardy Küster, zwei im Raum Göttingen geborene Noiser, die den eigentlich überstrapazierten Begriff des genialen Dilettanten auf eine ungeahnt hohe Spitze treiben, oder aber – je nach Reaktion des Hörers – vollkommen ad absurdum führen. Küster begegnete ich erst im Geröllgeräte-Rahmen, seine Webseite macht einen mit seinen Stammprojekten Brot, Hk, Dj Dynamic, Hektor F, Wolfsmaul, The Hardverger, Urban Dirt Exposer, Juan Sohn, Simba, Dj Großvater und Rosenfranz bekannt und erwähnt zurückliegende Kollaborationen mit Faschogirl, 2 Scheiben Brot und Process Geschäftsführer, die mir allesamt nichts sagen, und die ich eigentlich vor Abfassung dieser Review recherchieren wollte.

Sein Kollege Petermann ist vor allem unter dem Namen Kakawaka bekannt und gerade im Hauptstädischen Raum auch etwas bekannter, wo er die Szene zudem als Kurator für ostasiatische Noise-Acts bereichert. Ich weiß nicht, ob ich ihn als den einzig wahren Harsh Noise-Comedian bezeichnen darf, wahrscheinlich nicht, aber ich tu’s. Mit Grillgabel, Luftballons, Kontaktmikro und einer Reihe an Effekten produziert der musikalisch z.T. in Japan sozialisierte Künstler eine Spielart des Rhythm Noise, die am besten im Rahmen von Performances funktioniert, in denen fantasievolle Outfits für’s Kongeniale sorgen – oder gar kein Outfit, wenn man Gerüchten über das letzte Avantgarde Festival in Schiphorst glaubt. All dies ist ebenso kraftvoll wie komisch, aber keineswegs nett-lustig oder sonst irgendwie trivial. Ein Kakawaka-Konzert frühmorgens hat mir schon einmal eine Nacht gerettet, in der ich zuvor dreimal die Einstürzenden Neubauten der 90er live erleben durfte.

Als Geröllgeräte erteilen die beiden, unterstützt von Maja Szerszen, die sich um das Visuelle kümmert, jüngst allen Musikern des Steinklang-Labels eine Lektion: Auf jedem Album (es gibt bisher zwei) wird der typische Sound eines Steinbruchs im Kreis Göttingen mittels Gegeneinanderwerfen, Rollen, Schlagen und Schütten herumliegenden Gerölls „erforscht“. Ich gebe „Emmenhausen“ den Vorzug vor „Ossenfeld“: Hier ist einerseits der Rest handwerklicher Bearbeitung und die daran gekoppelte narrative Ebene (schon im Artwork) präsenter. Andererseits ist die Klangerzeugung konsequenter auf die Steine reduziert, wenngleich die Ossenfelder Flugobjekte (Vögel und sonstiges) eher zufällige Faktoren sind, deren Einbezug der Idee entspricht, wie bei den archaischen Namensgebern auf nachträgliche Bearbeitung zu verzichten. Wie bei David Jackman, der im Rahmen der mittleren Organum ähnlich arbeitete, hat man bisweilen das Gefühl, einen Film ohne Dialoge im Hintergrund laufen zu lassen. Und wem das zu arty klingt, den mache ich genre mit dem kleinen Pferdefüßigen auf meiner linken Schulter bekannt, der die ganze Zeit von einer großangelegten Persiflage auf Konzeptkunst faselt.

Neben dem Verzicht auf Soundbearbeitung, Produktion und Mastering wird auch keine taktische Instrumentenauswahl getroffen, um die beiden Schauplätze künstlich zu kontrastieren, man greift eben auf die Steine zurück, die da sind, und die ähneln einander wie ein Thomas Bernhard-Satz dem nächsten oder ein Bassriff von Sleep und Om seinen tausend Pendants auf dem nächsten oder übernächsten Album. Ich hoffe, dass das so bleibt und bin ganz gespannt auf die erste konzertante Inszenierung in einem weiteren Steinbruch der Region, die diese kulturelle Aufwertung hoffentlich zu schätzen weiß.

Label: C+H Productions