CONSUMER ELECTRONICS: Estuary English

Während der selbst so apostrophierte „animal response technician“ William Bennett es inzwischen bis in die Tate Modern geschafft hat, mit Cut Hands gern gesehener Gast auf genreübergreifenden Festivals ist und inzwischen auf hippen Labeln wie Blackest Ever Black veröffentlicht, ist der mit einer Arbeit über Burroughs, Ballard und Pynchon promovierte „dirty word specialist“ Best einen etwas anderen Weg gegangen: Seine Auftritte mit Kassengestell, Schmerbauch und inklusive Nippelreiben sind auf eine Art konfrontativ, die ihresgleichen sucht, denn obwohl es natürlich eine Inszenierung ist, ist Bests Bühnenpersona so irritierend und oft abstoßend,  dass suspension of disbelief jederzeit möglich ist.Während das noch zu seiner Zeit bei Whitehouse enstandene Album „Nobody’s Ugly“ zwei lange, rein instrumentale Tracks enthielt, war „Crowd Pleaser“, das anfänglich wohl von William Bennett hätte produziert werden sollen, geprägt von Bests Vocals und seinen Invektiven, die er inmittem der Noisekaskaden in das Mikro brüllte.

Das neue, auf zwei Platten gepresste Album „Estuary English“, auf dem Best von Russell Haswell und Sarah Ruth Best (ehemals Froehlich, inzwischen seine Ehefrau) unterstützt wird, knüpft daran an und enthält auch Stücke, die man durchaus auf dem Spätwerk von Whitehouse hätte finden können: Etwa das von fiesen Hochtönen und ultraverzerrten übersteuerten Perkussionsspuren geprägte „Come Clean“ (eine neue Version/Überarbeitung von „Cockpit“ vom Vorgängeralbum), das an Stücke wie „Princess Disease“ denken lässt, oder etwa das Titelstück. Allerdings gibt es auf „Estuary English“ auch eine Reihe von Tracks, die -zumindest musikalisch- eine andere Richtung einschlagen. Das das Album eröffnenden „Teknon“ wird von Bassklängen dominiert, die das Stück zu einer Art von dementem Dub, Dub debil, machen, „Affirmation“ ist geprägt von analogem Synthgebrutzel, „Sex Offender Boyfriend“ beginnt mit einem Pulsieren, als wolle Best sich an Minimaltechno versuchen, das verhältnismäßig monotone „Co-Opted“ lässt ganz entfernt an Rhythm Industrial denken, auf „Air Lock“ wird komplett auf Intrumentierung verzichtet.

Was das Album aber von jedem anderen Noise-/Industrial- etc. Album abhebt, sind Bests Vocals, die mit zum Beeindruckensten gehören, was man in welchem Genre auch immer hören kann. Sie sind sozusagen – um den so/zu viele Lebensbereiche durchdringenden BWL-Sprech zu gebrauchen- sein Alleinstellungsmerkmal und lassen jeden andren Kraftelektroniker und Kulturellen Terroristen sehr, sehr blass aussehen. Gerade auf der ersten Hälfte des Albums, auf dem die Stimme oft nur musikalisch minimalst untermalt wird und ganz klar im Zentrum steht, klingt Best so, als würde er seine Texte nicht schreien, nicht brüllen, sondern auskotzen – sein Wüten, seine Verbalinjurien sind in jeder Silbe von einem Abgestoßensein, von einem Angewidertsein geprägt, das sich kaum in Worte fassen lässt. Das ist Tourette als ontologisches Statement. Dass die Texte im Klappcover komplett in Großbuchstaben abgedruckt sind, passt wie die Faust aufs Auge. Sieht man von „Co-Opted“ ab, das lediglich aus der (einmal leicht variierten) Zeile „Co-Opted by Cunts“ besteht, sind das Textkonvolute voller intextextueller Verweise. Auf „Teknon“ versteckt er in seinen Schimpfkanonaden (teils modifizierte) Blakezitate: „Little cunt, little cunt who made thee […]/Slowstain sculpture over bones of lions/And paint blood down palace walls“; sozusagen Hinweise auf „innocence“ wie „experience“. Bests Texte sind zwar eine fortwährende Freilegung der weniger schönen Seiten der „Sceptred Isle“, aber gleichzeitig auch immer wieder eine Infragestellung tradierter Täter/Opfer-Dichotomien. Es mag zwar redlich sein, wenn in The Quietus zumindest partiell versucht wird, Best als sozialkritischen Diagnostiker zu präsentieren, aber dafür ist er zu ambivalent, sind seine Dissektionen menschlicher Abgründe zu uneindeutig und vielleicht auch zu empathielos: „Put down your shopping/Turn on the telly/Just do what you can/To not gag too much/Put on the jeans and top/From the night before/You weren’t here/you didn’t fucking lose it“ heißt es auf „Sex Offender Boyfriend“, „Tell me what you think of me/Bipolar alcoholic/Near-catastrophic drug pig hollowness/And daytime incontinence“ auf „Come Clean“. Einzig auf dem 30-sekündigen „Air Lock“ nimmt Best sich zurück, rezitiert ruhig: „These final moments/in dull landscape/Dragged across the sky/What remains?/The shepherd/The branch stripped of bark/beaten broken limbs/And the beautiful/Bloody curtain/That awaits you/Comes down“.

Selbst vermeintlich alternative Musikhörer mögen das Album ablehnen („this can surely only be endured, let alone enjoyed, by the most autistic of the autistic“), Power Electronic-Puristen werden das Album wahrscheinlich ebenfalls nur bedingt goutieren, manche es gar als „abomination“ betrachten – aber nur dann, wenn man unter einem Puristen jemanden versteht, der feste Kategorien liebt und sich nach einem gewissen Maß an Vorhersehhbarkeit sehnt. Wenn man ihn aber als jemanden betrachtet, der Reduktion und Fokussierung schätzt – im Kontext von Whitehouse fiel vor Jahren das Wort des Asketentums – , für den dürfte das Album eine Offenbarung sein. Dass sich all das auf lediglich 22 Minuten abspielt, ist in einer Zeit der hypertrophen, angeschwollenen Veröffentlichungen mehr als zu begrüßen. (J.M.)

Label: Dirter