Ein sanfter, fast wie aus der Ferne herüberwehender Klang eröffnet die Szenerie: Die Ney, ein vorderasiatisches Doppelrohrblattinstrument, das unseren Schalmeien ähnelt, webt ornamentale Melodiebögen. Doch diese sind dezent und unprätentiös, was den Klängen – wohl gepaart mit subtiler klanglicher Bearbeitung – einen ambienten Charakter verleiht. Es ist der Titeltrack des Albums “Damavand”, benannt nach dem höchsten Berg im Iran, einem imposanten Stratovulkan im Elburs-Gebirge. Die Musik scheint wie ein Klangbild dieses mythischen Ortes, getragen von der Ney, gespielt von Emad Khankeshipour und basierend auf Kompositionen von Farbod Maeen, einem in Toronto lebenden iranischstämmigen Künstler, der jüngst einen Beitrag zur “Arts Nowruz”-Reihe veröffentlichte und hier als Architekt einer subtilen Klangwelt auftritt.
Der erste Track evoziert Bilder, die auf eine breite Leinwand gehören: eine Drohne etwa, die über eine nebelverhangene Stadt und ein Gebirge in der Morgenröte gleitet, während sich eine kaum greifbare Atmosphäre des Unheilvollen entfaltet. Der Sound gewinnt langsam an Volumen, knarrende Wellen durchbrechen die Stille in gemächlichem Rhythmus. Diese Spannungen erzeugen eine Stimmung voller Fragezeichen – was steht hier bevor? Ähnlich wie bei Nurse With Wounds Klassiker “Salt Marie Celeste” entfaltet sich eine Klanglandschaft, die bedrohlich und hypnotisch zugleich ist, ohne je den Fokus zu verlieren.
Das zweite Stück, “Chogha Zanbil (Dūr Untaš)”, vertieft diese mysteriöse Stimmung auf vielleicht noch subtilere Weise. Die Ney klingt hier tiefer, beinahe wie ein entferntes Waldhorn, und gibt dem Stück eine fast beiläufige Aura, die jedoch keineswegs belanglos wirkt. Vielmehr schwebt eine Aura der Genügsamkeit über der Musik, als wären alle wichtigen Fragen längst gestellt und die nur halb erfolgten Antworten für obsolet erklärt. Doch auch hier bleibt die Interpretation freilich offen. Hin und wieder tauchen klangliche Elemente auf, die an mit einem ausladenden Bogen gestrichene Saiten erinnern und die Frage in den Raum stellen, ob hier nicht doch weitere Instrumente zum Einsatz kommen. Ein subtiles Knarren und Rauschen durchbricht die Ruhe irgendwann und führt in eine unerwartete Wendung, die das Stück in einen neuen Kontext setzt – ein Enigma, das ebenso nachdenklich wie faszinierend bleibt. Das passt dann auch ganz gut zu dem Titel des Stücks, der wie ein Wegweise einige hundert Kilomenter in den Süden führt, wo der Iran recht nah an das Mündungsdeltal von Euphrat und Tigris grenzt. Chogha Zanbil und Dūr Untaš sind zwei Bezeichnungen für eine antike Ruinenstadt aus der Zeit des Elamitischen Reiches im zweiten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung.
Das finale “Karoon”, eventuell benannt nach einem iranischen Fluss, beginnt mit wabernden, luftigen Motiven, die klar der Ney zugeordnet werden können. Doch auch hier überraschen bald neue Schichten, die denselben Ursprung haben mögen, aber ganz anders klingen. Die verschiedenen Elemente interagieren miteinander, bauen eine reizvolle Spannung auf und lassen eine unruhige Dynamik entstehen, die der Komposition eine besondere Tiefe verleiht. Dazu passend verzichtet das Stück bewusst auf eine Auflösung, der Schluss bleibt offen, als gleite man zurück in den Schlaf. An die von den Klängen der Ney begleiteten Ereignisse erinnert man sich wohl, doch vermag man kaum zu sagen, ob sie geträumt oder anderweitig erlebt worden sind.
“Damavand”, das in der hochwertigen “Radif of Iranian Music”-Reihe erschienen ist, ist ein Album, das durch seine Ambivalenzen und Vielschichtigkeiten besticht. Farbod Maeen gelingt es, mit wie es scheint wenigen Mitteln eine klangliche Welt zu erschaffen, die zwischen Traum und Realität oszillierend zu bannen weiß. Die Verbindung von traditionellen Instrumenten wie der Ney mit moderner Klangästhetik macht dieses Werk zu einer eindrucksvollen – post-orientalistischen – Erfahrung, die noch lange nachwirkt. (U.S.)
Label: Post Orientalism Music