MIDORI HIRANO / COH: Sudden Fruit

Wenn sich die Wege zweier Künstler mit ganz eignen, auf soliden, weitgehend egofreien Fundamenten stehenden ästhetischen Visionen kreuzen, entsteht mitunter etwas Einzigartiges. So auch bei dem Album “Sudden Fruit”, einer Zusammenarbeit der japanischen Pianistin und Komponistin Midori Hirano und des russischen Klangarchitekten Ivan Pavlov, bekannt als CoH (was im russischen Traum und zugleich Schlaf bedeutet und Son ausgesprochen wird, die Übereinstimmung der kyrillischen Schreibweise mit den drei lateinischen Buchstaben ist zufälliger Natur). Dieses Werk balanciert meisterhaft zwischen akustischen und digitalen Elementen und fängt jene flüchtigen Momente ein, in denen Natur und Künstlichkeit zu etwas verschmelzen, das.

Midori Hirano, in Kyoto geboren und seit längerem in Berlin ansässig, ist bekannt für ihre minimalistischen, ätherisch anmutenden Kompositionen, in denen sie Klavierklänge mit elektronischen Texturen verbindet, vor Jahren hatten wir sie in einem Interview zu ihren Ideen befragt. Ivan Pavlov hingegen, mit mathematischem ebenso wie musikalischem Hintergrund, hat sich als COH einen Namen in der experimentellen elektronischen Musik gemacht und mit Größen wie Peter Christopherson (COIL), Cosey Fanni Tutti und Cyclobe zusammengearbeitet. Ihre gemeinsame Arbeit auf “Sudden Fruit” zeigt eine gut ausbalancierte und natürlich wirkende Symbiose ihrer individuellen Stile.

Der Opener “Wave to Wave” präsentiert ein melodisches Pianomotiv, das durch Echoeffekte und subtile Verfremdungen einen rhythmischen Charakter erhält, der zumindest den Rezensenten an die Minimal Music etwa eines Michael Nyman erinnert. In “Shedding Shadows” treffen flächige Klänge auf dunkles Rumoren und hohe Sinustöne, bevor eine Synthiemelodie und leichte Rhythmen das Stück in eine losgelöste Atmosphäre führen. “Mirages, Memories” besticht durch vertraute, eingängige Tonfolgen auf den tieferen Klaviertasten, begleitet von subtiler Elektronik, die dem Stück eine entrückte, neoklassische Note verleiht. Das Titelstück beginnt langsam mit hohen Tönen, die Spannung erzeugen, gefolgt von wummernden Bässen, die – aber auch dies könnte eine fatamorganaartige Projektion sein – an die songorientiertere Seite im Spätwerk von Coil erinnern. “Flowers of Gravity” öffnet mit düsteren Klängen ein Portal zu unbekannten Dimensionen, während “Waltz for Returnal” mit hellen, aufgeweckten Tönen einen subtilen Walzertakt andeutet.

Der abschließende Track “Disperse” lässt eine gelassene, versöhnliche Stimmung entstehen, wobei hohe Klaviertöne das Ende mitprägen, wie um zu verdeutlichen, das längst nicht alle Fragen geklärt sind und dieses wunderbar symbiotische Album, in dem elektronische Klangkunst, Minimal Music, Kunstliedhaftes und immer auch kleine Brisen Pop zusammenkommen, noch lange weitergehen könnte. (U.S.)

Label: Mind Travels Serie / Ici D’Ailleurs