FRITZ AND TONY: The Party’s Over

Es gibt Songs, die textlich v.a. durch ihre poetische Gestaltung ihre größte Wirkung entfalten, andere wieder – und das muss sich beides freilich keineswegs ausschließen – lassen auf kleinem Raum Geschichten entstehen, die wie Ausschnitte einer längeren Erzählung wirken und so noch lange nachhallen. In den kleinen angedeuteten Szenerien, die Fritz und Tony auf ihrem ersten gemeinsamen Longplayer “The Party’s Over” entstehen lassen, wird die Welt als ein Ort gezeichnet, an dem Hoffnung schnell in Ernüchterung kippt und jede Regung von Schönheit von einer Ahnung des Untergangs begleitet wird. Städte erscheinen als fragile Bühnen, Kapitalismus als unverrückbare Macht, und das Individuum bleibt zurück zwischen der Suche nach Tost und desolater Einsicht. Man könnte all dies lakonisch als Realismus bezeichnen.

Der Berliner Fritz Hagal, bekannt von seinem Folkprojekt Sonne Hagal, und der Londoner Tony Wakeford, der mit Crisis, Sol Invictus, Orchestra Noir und solo bereits seine Spuren im Punk, Dark Folk und in kammermusikalischen Bereichen hinterlassen hat, haben vor anderthalb Jahren bereits eine EP mit zwei etwas längeren Soundscapes herausgebracht. Auf ihrem ersten gemeinsamen Longplayer widmen sie sich erstmals gemeinsam dem Songformat und lassen über elf Stücke hinweg ein Album entstehen. dass seine Spannung primär aus der beharrlichen Weigerung bezieht, Illusionen zu nähren. Vom stilistischen Rahmen her bewegt sich das Werk zwischen Folk Noir, Dark Jazz, Ambient, barocken Anklängen und einigem mehr, unterstützt werden die beiden von Matt Howden (Sieben), der mit seiner Geige deutliche Akzente setzt, Risa Hara (Inanis Yoake) am Klavier, Tonys altem Weggefährten Stephane Ruiz an der Flöte und Bo Rande (Blue Foundation), dessen Trompete den jazzigen Unterton mehrerer Stücke verstärkt. Fritz selbst ist mit “Idea and realisation” aufgeführt, was natürlich Unterschiedliches bedeuten kann.

“Man Overboard” eröffnet den Reigen mit knarrendem E-Bass, bevor helle, barock anmutende Gitarrenfiguren einsetzen, die gleich Tonys Handschrift erkennen lassen. Die tiefen, desolaten Vocals unterstreichen eine Stimmung der Resignation. Kurze Pianoeinsätze und Randes Trompete verweisen auf die jazzige Seite, die Tony bereits auf dem “Thrones”-Album ausgelebt hat, und im Hintergrund tauchen Sounds auf, die an Meeresrauschen denken lassen. Der Text bewegt sich zwischen dem Bild der Brandung, die alles fortträgt, und einer resignierten Akzeptanz, nur “ein weiterer Kiesel am Strand” zu sein, der irgendwann verschwindet. “Children’s Laughter” entwickelt einen spannungsvollen, cinematischen Sound, getragen von Piano, kratzigen Texturen, sperrigen Takten und Trompete. Der eigenwillige Groove steht dabei in deutlichem Kontrast zum Inhalt. Zwischen Kinderreimen und bitterer Ironie entfaltet sich ein Abgesang auf eine Welt, in der Kapitalismus und Gewalt Hand in Hand gehen. Zeilen wie “hear the sound of children’s laughter, as they tie nooses to the rafters” oder das entstellte Schlaflied “twinkle twinkle little star, show us how fucked we really are” verbinden makabren Humor mit radikaler Gesellschaftskritik, und wenn es heißt: “It’s easier to imagine the end of the world than the end of capitalism”, knüpfen Fritz and Tony bewusst an eine bereits kursierende Diagnose unserer Zeit an und geben ihr eine beklemmende musikalische Fassung.

“Blind” greift stärker auf vertraute Muster zurück: akustisches Gitarrenstrumming, das viele Fans mit Tony verbinden, dazu die anrührende Flöte von Stéphane Ruiz. Der Song entfaltet sich als Neofolk-Stück mit hymnischem Charakter, durchsetzt von psychedelischen Einsprengseln, perkussiven Akzenten und einer wabernden Orgel. Der Text stellt die Götter selbst als blind dar und verbindet metaphysische Zweifel mit persönlicher Verletzlichkeit. “Eden Olympia” wirkt wie eine düstere murder ballad in mediterranem Setting. Der verfremdete Gesang klingt, als käme er durch einen Telefonhörer, während Bass und Percussion knarrend dazwischenfahren. “I’m Sorry”, das erneut um einen seltsamen Mord zu kreisen scheint, eröffnet mit einem hochtönenden, fast verspielten Synthie, der an alte japanische Computerspiele erinnert. Darauf setzt Tony seine Stimme, extrem tief und rau verfremdet, bevor der Song in elektrifizierte, rhythmische Strukturen übergeht. Risa Hara und Matt Howden sind hier deutlich herauszuhören, die Mischung ergibt einen Song, der trotz seiner Schwere als einer der eingängigsten des Albums heraussticht.

Mit “The Night” kehrt eine dunkel-jazzige Atmosphäre zurück. Jazzbesen, Trompete und ein melancholischer Klagegesang zeichnen ein Bild der nächtlichen Großstadt, in der sich Einsamkeit und Geschichte überlagern. Anspielungen auf den großen Brand von London – 1666 looks like a small house fire – lassen das Stück in eine historische Tiefenschicht kippen. Der Text bewegt sich zwischen grotesken Übersteigerungen – ein unverbesserlicher Optimist, der sich am Ende mit Klaviersaiten erhängt – und bitteren Beobachtungen zur sozialen Realität: billiger Wohnraum existiert nur noch im Knast. “My Friend” zeigt Fritz and Tony in fast versöhnlicher Stimmung: melodisches Gitarrenpicking, metallophon klingende Begleitinstrumente und ein Gesang, der berührend wirkt. Doch die Worte verneinen den Trost: “The world is not your friend, my friend.”

“Rage” hebt das Tempo an, mit tremolierenden Geigenparts und einer dramatischen Szenerie. Der Satz “we are falling down” wird wie eine Beschwörung wiederholt, während die Musik zwischen folkiger Leichtigkeit und apokalyptischer Schwere oszilliert. Der Song lässt den Protest gegen einen Krieg anklingen und wirkt zugleich wie ein universelles Bild des Scheiterns. Das in seiner Intensität überragende “Harbour” schlägt den Bogen zwischen barockem Einschlag und Sea Shanty. Flöte, ornamentales Piano und Tonys fast cembaloartige Gitarre ergeben ein feierliches Stück, das mit Seefahrer-Metaphorik spielt und zugleich etwas Liturgisches ausstrahlt. Der Text greift maritime Bilder auf – “black velvet sails, masts of carved bone” – und verbindet sie mit einem Gefühl existenzieller Unausweichlichkeit. Wahrscheinlich ist es nur nerdig vom Rezensenten, sich eine Version mit der hellen Stimme Marc Almonds vorzustellen. Im Titelstück “The Party’s Over” dominieren monotones Gitarrenstrumming, Violine und Hintergrundgeräusche, die an Straßenlärm erinnern. Der Gesang klingt abgeklärt, fast illusionslos: “No reprives or pushing boulders. Crossing the Thames with a hangover. A single malt and a revolver.” Die Wiederholung wirkt wie ein Mantra der Resignation.

Zum Abschluss folgt eine zweite Version von “Man Overboard”, diesmal reduziert auf dröhnende, verfremdete Klänge, die wie ein unaufhaltsames Abschiedssignal wirken. Fast alle Instrumente verabschieden sich in ein “unhappy end”, das zugleich abgeklärt und verträumt wirkt. Semi-atonale Passagen lösen die letzten Strukturen auf – ein Ende, das keinen Trost mehr geben will. So vollendet sich ein Album, das mit Abgeklärtheit und Desillusionierung arbeitet, ohne je in theatralische Lamoryanz zu kippen. “The Party’s Over” ist eine Platte, die ihre eigene Endzeitstimmung nicht nur beschreibt, sondern in jeder Sekunde konsequent durchhält.

Label: Dark Vinyl